Die Gottespartitur by Rai Edgar

Die Gottespartitur by Rai Edgar

Autor:Rai, Edgar [Rai, Edgar]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Berlin Verlag
veröffentlicht: 2015-05-17T16:00:00+00:00


18.

Gabriel entscheidet sich gegen den Whiskey. Warum, ist nicht ganz klar. Leuchtet streng genommen nicht ein. Aber wenn er es recht bedenkt, dann leuchtet ihm von dem, was er heute gemacht hat, relativ wenig ein. Ist nicht immer alles mit dem Verstand zu greifen.

Stattdessen harrt er auf dem Weg aus, sieht die drei Seminaristen im milchigen Abendlicht verschwinden, wartet, bis der Laserstrahl nicht länger durch die Baumkronen tanzt und das Glockengeläut verklungen ist, und macht dann kehrt und geht zur letzten Gabelung zurück.

Diesmal nimmt er nicht den Weg in den Wald hinein zum Krater mit dem Findling, diesmal folgt er dem Bachlauf hügelaufwärts.

Kurz darauf verjüngt sich der Weg, verläuft in einem fußbreiten Pfad entlang des Ufers, Erlen und Eschen drängen vor bis zur Böschung. Er muss den Kopf einziehen, darf nicht die Befestigung aus dem Blick verlieren, ist nicht sicher, wo er sich befindet. Doch wenn er das Glockenläuten richtig verortet, könnte das zu seiner Linken der Hügel sein, auf dem die Kapelle steht, nur dass er sich dann auf der dem Seminar abgewandten Seite befinden würde. Sollte der Pfad also bis zur Spitze führen, müsste er irgendwo hinter der Kirche herauskommen.

Gabriel gelangt nicht bis zur Spitze. Nach wenigen Gehminuten führt der Weg in eine Klamm, die Luft wird kühl und feucht, es rauscht von allen Seiten, und dann schimmert da plötzlich ein Lichtlein im Dunst. Als er sich nähert, stellt er fest, dass es der Berg ist, der leuchtet. Von innen. Mitten in der Klamm ist ein Loch im Felsen, eine aus dem Stein gehöhlte Grotte. Die Öffnung ist vollständig vergittert, das Tor jedoch unverschlossen. Und gut geölt. Quietscht nicht einmal, als er es öffnet.

In zigfacher Ausführung steht die Mutter Jesu in den grob geschlagenen Felsnischen, unterschiedlich groß und in verschiedenen Farben, immer gleich aber sind Gewand und Haltung: bodenlanges Kleid, Haare und Schultern bedeckt, Hände auf Brusthöhe zueinander geführt, der Blick in Richtung des Schöpfers gerichtet, demütig, gläubig, sich vertrauensvoll fügend in SEINEN Plan. Eine Mariengrotte.

Erstaunlich warm ist es, der vielen Opferlichter wegen, für die man fünfzig Cent in den Schlitz einer Blechkiste stecken soll. Ziemlich kleines Opfer, fünfzig Cent, aber ganz ohne geht’s halt nicht. Maria hilf, Maria hilf, so steht es hundertfach an den Wänden, Danke Maria, in bescheidenen Holzrahmen, gestickt, gemalt und mit Blut unterzeichnet.

Der größten Figur, ganz in Gold und Babyblau, ist ein exklusiver Bereich zugedacht. Ein schmiedeeisernes, hüfthohes Gitter mit mittigem Türchen trennt das Halbrund ab – für die besonders Gläubigen. In einer Vase stehen frische, weiße Lilien, zwei mannshohen Kandelabern sind jeweils drei brennende Gebetskerzen aufgepflanzt. Auf der Steinstufe zu Füßen Marias kniet die lebensgroße Statue einer Betenden. Ihr Gesicht ist nicht zu sehen, denn Körper und Haupt sind ganz von dem steinernen Kapuzenmantel bedeckt. Demut vor der Demut. Das Rauschen des Bachs dringt herein und verliert sich in den Nischen.

Gabriel blickt zu Maria auf. Jetzt, da wir unter uns sind, denkt er, sollten wir ganz offen miteinander sein. Also: Die Scheiße stinkt zum Himmel. Matthias ist nicht einfach tot umgefallen. Das wäre so wahrscheinlich wie, hm, schwanger werden ohne Sex – nichts für ungut.



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