Die Frau des Schriftstellers by Ernst-Wilhelm Händler

Autor:Ernst-Wilhelm Händler [Ernst-Wilhelm Händler]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Frankfurter Verlagsanstalt GmbH
veröffentlicht: 2011-11-15T00:00:00+00:00

Du bist für mich alles. Du bist für mich das einzige. Lange, bevor ich dir begegnete, sah ich dich im Fernsehen. Bevor ich dich sah, gab es keine Zeit für mich. Nachdem ich dich gesehen hatte, habe ich zum ersten Mal nachgerechnet, wie lange ich mit Pototsching zusammen war. Zwei Mächte ringen in dir. Du beobachtest, du erklärst – so entsteht meine Zeit. Du bringst alles in meinem Leben dazu, anders auszusehen, so daß es scheint, als ob Zeit verflossen ist. Seit ich dich sah, prüfe ich, ob die Fältchen um meine Augen mehr werden, die Falten um meinen Mund tiefer, meine Brüste schwerer, und ich suche meine Scham nach grauen Haaren ab. Du kannst grausam sein, töten, die Seele eines Menschen vernichten. Aber ich weiß, du verschonst mich, wenn ich mich an bestimmte Regeln halte. Pototschings Bücher sind gut, die Manier macht seine Bücher erfolgreich, was in ihnen steckt, würde ohne die Manier besser herauskommen. Deine Bücher haben keine Manier. Ich werde überleben, wenn ich dich respektvoll behandle, wenn ich deine Intelligenz und deinen Geschmack nicht beleidige. Ich werde dir nicht mit Parfüm, Small talk oder durchsichtigen Ambitionen auf die Nerven gehen. Du bist ein Monster, aber ein kultiviertes Monster. Du lebst nach Regeln, die nur für dich selbst gelten, aber diese Regeln sind verläßlich. Du bist für mich die Hoffnung auf Berechenbarkeit in einer unberechenbaren Welt. Deinen Augen unterläuft so gut wie kein Lidschlag. Wenn du mich beobachtest, formst du mich, wenn du mich erklärst, entführst du mich aus der Welt. Ich weiß nicht mehr, war es die Aufzeichnung einer Veranstaltung, oder handelte es sich um eine Sendung mit Einspielfilmen. Du hast aus deinem Buch gelesen. Du liest nicht wie ein Schauspieler, sondern wie ein Autor, und nicht wie ein Autor, der versucht, Schauspieler zu sein. Du hast nur für mich gelesen, für niemand anderen. Du hast aufgeblickt und allein mich angesehen, niemand anderen. Du hast alles gesehen, was in mir ist, alles verstanden. Seit du mich angesehen hast, habe ich eine Liebe in mir, für die es kein Beispiel gibt. Nach der Sendung hatte ich nur ein Ziel: Daß du mir wieder in die Augen siehst. Als ich dich von der anderen Straßenseite aus im Borchardt erkannte, bin ich über die Straße gegangen, ohne auf den Verkehr zu achten, weil ich wollte, daß du mir so schnell wie möglich in die Augen siehst. Als du mir damals in die Augen gesehen hattest, wußte ich plötzlich Dinge, die ich vorher nicht gewußt hatte. Das Manuskript war fertig, ich wollte es abliefern, auf einmal wurde mir klar, daß ich das Manuskript so nicht in Druck geben konnte. Ich schrieb die Nacht durch. Ich mußte keinen Moment nachdenken, alles war in meinem Kopf, ich brauchte es nur in den Computer einzugeben. Je länger du mir nicht in die Augen blicktest, desto sicherer wurde ich, daß die Zeit, auf die ich wartete, anbrechen würde. Du wolltest mich nicht überfordern. Wenn du mir das nächste Mal in die Augen sehen würdest, würde ich wieder Dinge wissen, die ich vorher nicht wußte.

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