Die Ermordung des Commendatore Band 1 - Eine Idee erscheint by Murakami Haruki

Die Ermordung des Commendatore Band 1 - Eine Idee erscheint by Murakami Haruki

Autor:Murakami, Haruki [Murakami, Haruki]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Dumont
veröffentlicht: 2018-01-19T23:00:00+00:00


16 EIN RELATIV GUTER TAG

In der Nacht konnte ich nicht einschlafen, denn ich fürchtete, die Glöckchen, die im Atelier im Regal lagen, würden in der Nacht anfangen zu läuten. Was sollte ich dann tun? Mir die Decke über den Kopf ziehen und bis zum Morgengrauen so tun, als hörte ich nichts? Oder mit der Taschenlampe ins Atelier gehen und nachsehen? Und was würde ich womöglich dort vorfinden?

Ich lag im Bett und las, ohne zu einem Entschluss zu kommen. Doch es wurde zwei Uhr, ohne dass die Glöckchen sich meldeten. Nur das nächtliche Zirpen der Insekten war zu hören. Beim Lesen schaute ich alle fünf Minuten auf die Uhr an meinem Kopfende. Als sie 2:30 Uhr anzeigte, atmete ich endlich erleichtert auf. In dieser Nacht würde ich wohl verschont bleiben. Ich klappte mein Buch zu und löschte die Nachttischlampe.

Als ich am nächsten Morgen gegen sieben Uhr erwachte, ging ich als Erstes ins Atelier, um nach den Glöckchen zu sehen. Der Stab lag noch genau so im Regal, wie ich ihn am Vortag hineingelegt hatte. Heller Sonnenschein lag auf den Bergen, und die Krähen gingen wie immer eifrig ihren Tagesgeschäften nach. Im Licht des neuen Morgens wirkten die Glöckchen kein bisschen unheilvoll. Sie waren nicht mehr als ein schlichter, durch häufigen Gebrauch abgenutzter Kultgegenstand aus vergangener Zeit.

Ich ging in die Küche und machte mir Kaffee und wärmte mir dazu einen hart gewordenen Scone auf dem Toaster auf. Danach trat ich auf die Terrasse, sog die frische Luft ein und schaute, an das Geländer gelehnt, zu Menshikis Haus auf der anderen Seite des Tals hinüber. Die großen getönten Scheiben reflektierten blitzend die Morgensonne. Bestimmt ließ er die Fenster jede Woche von seinem Reinigungsdienst putzen. Die Scheiben waren jedenfalls stets spiegelblank. Ich blickte eine ganze Weile hinüber, aber Menshiki ließ sich nicht auf seiner Terrasse blicken. Bisher war es nie dazu gekommen, dass wir uns »über das Tal hinweg zuwinkten«.

Gegen halb elf fuhr ich mit dem Wagen zum Einkaufen in den Supermarkt. Nach meiner Rückkehr räumte ich die Lebensmittel ein und machte mir zu Mittag einen leichten Salat aus Tofu und Tomaten, dazu aß ich ein Reisbällchen. Anschließend legte ich mich aufs Sofa und hörte ein Streichquartett von Schubert. Ein wunderschönes Stück. Aus der Beschreibung auf der Plattenhülle erfuhr ich, dass es bei seiner Uraufführung von großen Teilen des Publikums als »zu modern« kritisiert worden war. Ich verstand nicht, was daran »zu modern« sein sollte, aber einige Passagen mussten damals wohl das Empfinden konservativer Zuhörer verletzt haben.

Als die A-Seite der Platte zu Ende ging, wurde ich plötzlich müde und holte mir eine Decke, um ein Schläfchen zu machen. Zwanzig Minuten lang schlief ich tief. Beim Aufwachen war mir, als hätte ich viel geträumt, aber ich hatte keine Erinnerung daran. Es war die Art von Träumen, in denen zusammenhanglose Fragmente ineinander übergehen und sich vermischen. Jedes der Bruchstücke hatte eine eigene Beschaffenheit, doch sie waren so miteinander verflochten, dass sie sich gegenseitig aufhoben.

Ich ging in die Küche, trank Mineralwasser aus einer Flasche im Kühlschrank, um



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