Die Chroniken der Verbliebenen Bd. 2 - Das Herz des Verräters by Mary E. Pearson

Autor:Mary E. Pearson [Mary E. Pearson]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-7325-4080-8
veröffentlicht: 2017-04-05T22:00:00+00:00

Und Morrighan erhob ihre Stimme

Zu den Himmeln,

Küsste zwei Finger,

Einen für die bereits Verlorenen

Und einen für die, die noch kommen sollten,

Denn die Trennung des Weizens von der Spreu war noch nicht vorbei.

Buch des Heiligen Textes von Morrighan, Bd. IV

Kaden

NACH VIER TAGEN AUF DER STRASSE beschloss ich, dass die Götter gegen mich waren. Vielleicht waren sie das schon immer gewesen. Mir war das Glück nicht vergönnt, dass der Statthalter mir entgegenkam, halb betrunken und verspätet. Das Bordell in der letzten Stadt hatte noch nicht das Vergnügen seines Besuchs gehabt, und das war schließlich eine Zwischenstation, die er niemals ausließ. Er war noch immer irgendwo zwischen dort und hier unterwegs – oder er war noch nicht aufgebrochen.

Dieser verfluchte Statthalter Tierny. Ich wollte ihm den Hals umdrehen, wenn wir ihn endlich trafen. Es sei denn, jemand anders hätte das schon für mich erledigt.

Das Wetter war miserabel – kalter Wind tagsüber, kalter Regen nachts. Die Männer, die bei mir waren, hatten schlechte Laune. Der Winter kam früh dieses Jahr. Aber es war nicht der eisige Wind, der mir zusetzte. Es war die letzte Nacht mit Lia. Ich hatte noch nie jemandem – nicht einmal dem Komizar – den Namen meiner Mutter verraten.

Cataryn.

Es war, als hätte ich sie von den Toten zurückgeholt. Ich sah sie wieder, hörte ihre Stimme, während ich Lia von ihr berichtete. Als ich ihren Namen laut aussprach, zerrte innerlich etwas an mir, aber dann konnte ich nicht aufhören, Lia mehr und mehr zu erzählen. Ich wurde von der Erinnerung überrannt, wie sehr meine Mutter mich geliebt hatte – der einzige Mensch, der mich je geliebt hatte. Das war nichts, was ich Lia mitzuteilen gedacht hatte, aber in der Dunkelheit strömte alles aus mir heraus, sobald ich ihren Namen ausgesprochen hatte, bis hin zur Farbe ihrer Augen.

Und der Augen meines Vaters. Diese Erinnerung ließ mich innehalten. Ich hatte ihr doch nicht alles erzählt.

Lia. Wie ein Raunen im Wind.

Zunächst hatte ich gedacht, dass das alles war – der Wind und die langen Stunden allein im Sattel. Als Lia mir in der Schenke ihren Namen genannt hatte, hatte er mich an das Raunen erinnert, das ich beim Ritt durch die Savanne gehört hatte: Lia in den Schluchten in der Wüste, Lia, der Schrei eines fernen Wolfs. Lia, sich in mein Herz schmeichelnd, noch ehe ich sie zum ersten Mal sah. Und dann Lia, als ich in der Dunkelheit ihres Zimmers mit dem Messer in der Hand über ihr stand. Es war ein Raunen, das ich endlich nicht mehr ignorieren konnte, obwohl es mir gelungen war, es aus meinem Leben zu verbannen, von dem Augenblick an, als ich dem Komizar begegnete. Zu wissen hatte mir nur Schmerz gebracht.

Ich hatte es so benutzt wie Lia. Ich hatte der Edelfrau gesagt, dass sie eines langsamen und entsetzlichen Todes sterben würde, obwohl ich nie so etwas gesehen hatte. Ich war acht Jahre alt und zornig, dass es meine Mutter war, die im Sterben lag, und nicht die hübsche Mutter meiner Halbbrüder, eine Frau, die mir niemals Freundlichkeit erwiesen hatte. Da bekam ich meine erste Tracht Prügel.

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