Deutschland 1923 - Das Jahr am Abgrund by Volker Ullrich

Deutschland 1923 - Das Jahr am Abgrund by Volker Ullrich

Autor:Volker Ullrich [Ullrich, Volker]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
ISBN: 9783406791031
Google: L0H4zgEACAAJ
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2022-11-15T20:29:43.573997+00:00


VII.

Auf dem Weg zur Stabilisierung:

Von Stresemann zu Marx

VII. Auf dem Weg zur Stabilisierung

Anfang November kommt es im Berliner «Scheunenviertel» zu pogromartigen Ausschreitungen. Hier bewachen Polizisten ein jüdisches Schuhgeschäft. Der Besitzer hat ein Papierschild mit der Aufschrift «Christliches Geschäft» an der Hauswand befestigt, um weitere Übergriffe zu verhindern.

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Ullrich, Volker. Deutschland 1923 : Das Jahr am Abgrund, C.H. Beck, 2022. ProQuest Ebook Central, http://ebookcentral.proquest.com/lib/kbv/detail.action?docID=7087830.

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Höhepunkt der Hyperinflation

Der Herbst 1923 war ungewöhnlich schön und mild. «Ist es nicht, als wolle (die) Natur mit unerhörten Finten und Zartheiten der Atmosphäre die entfesselten Leidenschaften besänftigen. Im türkisblauen Himmel eine gütige, sanft wärmende Sonne», schwärmte Thea Sternheim Ende Oktober in ihrem Tagebuch. 1 In seltsamem Kontrast dazu stand das wirtschaftliche und politische Chaos in Deutschland. Die Hyperinflation trieb ihrem Höhepunkt zu.

«Wie trostlos ist heute so ein Gang durch die Straßen der Stadt», bemerkte der Rheydter Joseph Goebbels. «An allen Ecken stehen Gruppen von Arbeitslosen und debattieren und spekulieren. Es ist eine Zeit zum Lachen und zum Weinen.» Für sein erstes Tagebuchheft, in dem er seit dem 17. Oktober 1923 festhielt, was ihn bedrückte, musste er eine Milliarde Mark zahlen. «Dafür konnte man sich früher die halbe Welt kaufen.»2 «Täglich wird alles schlimmer und bedrücklicher, wird es unmöglich, sich zu sammeln», klagte auch Victor Klemperer am 22. Oktober. «Vor allem das Geld u(nd) immer das Geld. Der Dollar springt täglich um Milliarden (…), die Preise gehen mit. Brot kostet 1 1 /2 Milliarden.»3 Ein beispielloser Marksturz an der New Yorker Börse erschütterte das Land. Die Geldentwertung nahm geradezu astronomische Ausmaße an. Der amtliche Dollarkurs, der am 31. Oktober 72 Milliarden betragen hatte, stieg am 1. November auf 130 Milliarden, am 2. November auf 320 Milliarden und am 3. November auf 420 Milliarden, um auf diesem Stand für nur drei Tage zu verharren. Am 7. November sprang er auf 630 Milliarden, am 13. November auf 840 Milliarden.4

Die Zahl habe sich «von ihrem Körper gelöst» und führe «ein Eigen-leben von hinreißend grausiger Spukhaftigkeit», berichtete der «Berliner Copyright © 2022. C.H. Beck. All rights reserved.

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VII. Auf dem Weg zur Stabilisierung

Ullrich, Volker. Deutschland 1923 : Das Jahr am Abgrund, C.H. Beck, 2022. ProQuest Ebook Central, http://ebookcentral.proquest.com/lib/kbv/detail.action?docID=7087830.

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Börsen-Courier» am 6. November. Dabei treffe das «naheliegende Gleich-nis vom Irrenhaus» nicht zu, denn «kein gewöhnlicher Geisteskranker»

habe sich «in seinen Wahnvorstellungen zu Summen verstiegen, wie sie in jetziger Papiermark einen Tagesbedarf ausdrücken, aus dem einfachen Grunde, weil er sie nicht kannte».5

Harry Graf Kessler, der in der zweiten Oktoberhälfte von Paris nach London gereist war, machte auf den Straßen der britischen Hauptstadt eine interessante Beobachtung: Reihen von Händlern standen dort, die für ein paar Pence deutsche Banknoten mit Millionen- und Milliardenbeträgen «als Merkwürdigkeit» feilboten. 6 Bei seiner Rückreise nach Deutschland am 10. November musste er im Schlafwagen zu seiner Verblüffung für eine halbe Flasche Wasser 500 Milliarden zahlen. Noch überraschter war er, als er nach seiner Ankunft in Berlin mit einem Bekannten ein Restaurant auf-suchte:



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