Der Weg der Toten by Eduard Klein

Der Weg der Toten by Eduard Klein

Autor:Eduard Klein [Klein, Eduard]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Neues Leben Berlin
veröffentlicht: 1975-12-31T16:00:00+00:00


„Vor vier Wintern und drei Sommern bin ich fortgegangen, doch jetzt komme ich wieder, und ich komme mit Freunden."

Er breitete auf dem Boden aus, was er an Geschenken mitgebracht hatte: sehr viele Perlen, mehrere Messer, zwei Äxte. Die genaue Zeitangabe, wann er vom Kaimanfluß fortgegangen war, und der Anblick der Kostbarkeiten schienen auch den Rest Mißtrauen zu besiegen.

„Du bist gekommen, Bruder", sagte der Häuptling.

„Ich bin gekommen", antwortete er.

Es war die Grußformel, mit der Gastfreundschaft geboten und angenommen wurde. Der Halbkreis in seinem Rücken löste sich auf, Frauen und Männer betasteten und begutachteten neugierig die Geschenke. Jemand brachte ihm einen Schemel, ähnlich dem des Häuptlings. Große Zigarren wurden angesteckt und gingen unter den Männern von Mund zu Mund. Er sah jetzt, daß sich nicht mehr als sechs oder sieben Jäger eingefunden hatten, die anderen mußten im Wald sein. Aber auch Frauen und Kinder sah er nur wenige.

„Wir brauchen Ruderer", sagte er, „und wir brauchen Boote. Die Papageienleute sind schlechte Ruderer, die Jaguare sind gut. Wir geben viele Geschenke, Perlen, Messer und zwei Gewehre."

Hätte Nerienene ihn gehört, er wäre tödlich beleidigt gewesen. Es war aber der schnellste Weg zum Ziel.

Der Häuptling hob beide Hände. Auf dem Platz wurde es plötzlich wieder still.

„Wir haben keine Ruderer. Einmal gab es in unserem Dorf zwanzig junge Jäger. Jetzt sind uns nur geblieben, die du siehst."

Die Frauen murmelten Klagelaute und wiegten die Oberkörper.

„Die anderen hat der Waldfresser getötet. Und von den Frauen und den Kindern hat er viele fortgeführt."

Der Häuptling hatte die Stimme gesenkt, als fürchte er, seine Worte könnten irgendeinen verborgenen Feind anlocken. Die Frauen aber brachen in laute Jammerlaute aus.

„Wo er hinkommt, muß alles sterben. Er schneidet die Bäume an und stiehlt ihnen das Blut. Er tötet die Männer des Jaguarvolkes, und er zwingt Frauen und Kinder, den Bäumen das Blut zu nehmen, einen ganzen Fluß von diesem Blut will er jeden Tag trinken, und er läßt die Frauen und die Kinder der Jaguarleute mit Peitschen schlagen, wenn sie ihm davon nicht genug bringen. Wo der Waldfresser hinkommt, dort stirbt der Wald, und dort sterben die Menschen."

Das Klagegeschrei der Frauen hatte sich zu schrillen Rufen gesteigert und brach jetzt jäh ab. Die wenigen Männer hockten schweigend, mit finsteren Gesichtern, da. Sie waren gute Jäger, und sie waren gute Krieger, sie kannten den Wald, und sie kannten den Fluß, jetzt aber waren sie mit einer neuen, unerklärlichen und grausamen Macht zusammengestoßen, gegen die sie sich hilflos fühlten, und sie waren voll abergläubischer Furcht.

Desto genauer wußte Renato, wovon der Häuptling sprach. Er wußte es aus Erfahrung, und jeder Satz und jedes Wort beschworen Erinnerungen an die bitterste Zeit seines Lebens, deren Ende Barbasco gewesen war. Zum erstenmal seit langem spürte er wieder die Narben auf seinem Rücken.

Kautschuksammler hatten, wahrscheinlich vom Norden, von kolumbianischem Gebiet her, einen Weg in dieses Waldland gefunden. Und hier, wo es keine Zeugen gab und niemand sie hemmte, hatten sie die Schreckensherrschaft errichtet, die er so gut kannte, gegen die er rebelliert hatte, und der Preis der vergeblichen Rebellion war das Leben eines Geächteten unter den Jaguarleuten und schließlich das Zuchthaus gewesen.



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