Der Totenleser by Tsokos Michael

Der Totenleser by Tsokos Michael

Autor:Tsokos, Michael
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Unglaubliche Fälle aus der Rechtsmedizin
ISBN: 9783548920368
Herausgeber: Ullstein Verlag
veröffentlicht: 2010-02-02T05:00:00+00:00


Gewichtige Bergung

Falls Sie in Berlin wohnen oder hier einmal zu Besuch sind und einen Transporter mit der Aufschrift »Gerichtsmedizin« auf Motorhaube und Heck entdecken, können Sie sich die Fracht denken. Womit Sie sich immer beruhigen können: Vielleicht ist er ja (noch) leer.

Bei uns in Berlin haben wir drei solche geschlossenen Leichentransporter, ein vierter ist bestellt. Der wird dann auch nicht mehr grün sein, sondern wie die neuen Fahrzeuge der Polizei blau mit Silbergrau. Jeder der Transporter hat vier Bahren, die sich herausnehmen lassen. Dadurch können nicht nur mehrere Opfer eines Verbrechens gleichzeitig transportiert werden, sondern auch Verstorbene von verschiedenen Fundorten, was besonders in einer großen Stadt wie Berlin von Vorteil ist. Eine Kühlung ist wegen der relativ kurzen Wege nicht nötig, doch gibt es eine Entlüftung im Dach.

Pro Jahr werden in der Bundeshauptstadt von unserem Fahrdienst durchschnittlich 2500 Leichen transportiert. Die Fahrer rücken zwischen drei- und zehnmal pro Schicht aus. Eine spezielle Ausbildung braucht man für den Job nicht, was aber nicht heißt, dass jeder geeignet wäre. Für eine Bewerbung benötigen Sie auf jeden Fall einen Führerschein Klasse 3 und eine »weiße Weste«, also ein Führungszeugnis ohne Vorstrafen. Zudem ist neben der Fähigkeit, am Leichenfundort der Situation gemäß aufzutreten, auch körperliche Fitness gefragt, denn nicht überall, wo Leichen gefunden werden, gibt es einen Aufzug.

Und manchmal geraten auch die besttrainierten Fahrer an ihre Grenzen.

Vier Jahre bevor Leonardo DiCaprio als Jack Dawson mit der Titanic unterging und zehn Jahre bevor Johnny Depp als Pirat Jack Sparrow den Fluch der Karibik am eigenen Leib erfuhr, spielten die beiden Schauspieler 1993 in dem Film Gilbert Grape – Irgendwo in Iowa zwei Brüder: Gilbert (Depp) kümmert sich nach dem Suizid des Vaters um den jüngeren und geistig behinderten Arnie (DiCaprio). Doch um diese beiden geht es hier nicht. Mir geht es um die Mutter, Bonnie Grape, die seit dem Tod ihres Mannes nicht mehr das Haus verlassen hat. Auch vom Sofa erhebt sie sich selten, denn mit ihren über 250 Kilo ist sie ohnehin nicht in der Lage, irgendwelche Hausarbeiten zu verrichten. Am Abend von Arnies achtzehnten Geburtstag beschließt sie zur Feier des Tages, die Nacht in ihrem Bett in der oberen Etage zu verbringen. Zwar schafft sie es unter allergrößten Mühen nach oben, doch diese Strapazen überlebt sie nicht.

Statt einen Arzt zu rufen, der den Totenschein ausstellt – als Todesursache hätte er sehr wahrscheinlich »Herzversagen« oder »Lungenembolie« eingetragen –, macht Gilbert sich Sorgen über den Abtransport seiner extrem übergewichtigen Mutter: Vielleicht müsste man die Tote mit einem Kran aus der oberen Etage hinunterhieven, und die ganze Nachbarschaft würde zusehen. Gilbert will sie aber nicht der Lächerlichkeit preisgeben, deshalb fasst er einen ungewöhnlichen Entschluss: Gemeinsam mit seinen Geschwistern räumt er das Mobiliar aus dem Haus und brennt das Gebäude nieder.

Eine drastische Maßnahme, zu der im wahren Leben sicherlich kaum jemand greifen wird, zumindest nicht, wenn es sich wie hier um den natürlichen Tod eines engen Familienmitgliedes handelt. Bei Tötungsdelikten, die der Täter durch Brandstiftung verdecken möchte, kommt so etwas dagegen durchaus vor.

Nichtsdestotrotz – die Gedanken,



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