Anatomien by Hugh Aldersey-Williams

Anatomien by Hugh Aldersey-Williams

Autor:Hugh Aldersey-Williams
Die sprache: deu
Format: azw3, epub
veröffentlicht: 2013-09-27T22:00:00+00:00


Blut

William Harvey bewies mit seinen Experimenten die erstaunliche Leistungsfähigkeit des Herzens, und er zog den unvermeidlichen Schluss, dass der Körper all das Blut wohl kaum schnell genug herstellen könnte. Es musste also in einem Kreislauf durch den Körper transportiert werden. Kapitel 14 seiner De Motu Cordis fasst diesen Gedankengang zusammen:

Man erlaube mir nun, meine Ansicht des Blutkreislaufs darzulegen und allgemein zu empfehlen.

Da alles, also sowohl Argumente als auch Augenschein, bezeugt, dass das Blut durch die Lungen fließt und mit Unterstützung der Ventrikel durch das Herz und in alle Teile des Körpers verteilt wird, wo es in die Venen und Porositäten des Fleisches findet, und dann durch die Venen aus den äußeren Regionen ins Zentrum fließt, von den kleineren in die größeren Venen, und von diesen in die vena cava und in die rechte Herzkammer geleitet wird, und zwar in solchen Mengen vom Herzen weg durch die Arterien und zu ihm hin durch die Venen, wie die Eingeweide es nicht herstellen können und wie es die Bedürfnisse der Ernährung übertrifft, so ist nur die eine Schlussfolgerung möglich, dass das Blut im Körper eines Tieres im Kreise geführt wird und immer in Bewegung ist und dass das Herz dies durch seinen Puls bewerkstelligt und dass dies der einzige Sinn der Bewegung und Anspannung des Herzens ist.

Diese wissenschaftliche Prosa ist anschaulich, sie belässt es bei der Beschreibung und kommt ohne die barocken literarischen Auswüchse aus, die im 17. Jahrhundert weit verbreitet waren. Harvey freute sich besonders an der Kreisbewegung und verglich sie mit dem von Aristoteles beschriebenen Kreislauf des Wassers. Das Bild des Blutkreislaufs wiederum regte seinerseits die Fantasie der Zeitgenossen an. Plötzlich stellte man sich zum Beispiel auch den Handel im wachsenden Britischen Empire als Kreislauf vor.

Und nun verstand man endlich besser, warum sich die Infektion eines Körperteils schnell ausbreiten konnte. Doch das herkömmliche Bild, das man sich vom Blut machte – eine rote Flüssigkeit, die aus unseren Wunden fließt und ganz offensichtlich in unserem Körper enthalten ist –, änderte sich zunächst kaum. Auch wenn das Blut jetzt nicht mehr jeweils neu gebildet wurde, sondern durch den Körper floss, konnten medizinische Praktiken wie der Aderlass (man schneidet eine Vene auf, damit Blut abfließt) oder das Schröpfen (man setzt ein erhitztes Gefäß auf die Haut, damit sich dort Blut sammelt) unverändert beibehalten werden. Harvey glaubte, seine Entdeckung erklärte die Wirksamkeit solcher Behandlungsmethoden überhaupt zum ersten Mal schlüssig. Er verabschiedete sich von der alten Galen’schen Ansicht, dass das Blut in der Leber hergestellt, vom Herzen gekräftigt und dann über den ganzen Körper verteilt wird, ohne je zurückzufließen, genau wie auch die Strahlen der Sonne nie zu ihr zurückkehren. Obwohl einer der vier hippokratischen Säfte (neben gelber Galle, schwarzer Galle und Schleim) sich ganz anders durch den Körper bewegte als gedacht, blieb dieses System noch zwei Jahrhunderte lang die Grundlage der Medizin. Auch andere überkommene Reflexe wie der Schrecken und die Furcht, die das Blut auslöst, und die Rituale und Tabus, die mit seinem Auftreten zu tun haben, verschwanden nicht einfach.

Im Judentum gilt das Blut als Quell des Lebens.



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