Der veruntreute Himmel by Franz Werfel

Der veruntreute Himmel by Franz Werfel

Autor:Franz Werfel [Franz Werfel]
Die sprache: deu
Format: epub


8. Fingerzeige

Die Zikan hatte Tränen in den Augen.

»Wir haben uns doch so schrecklich geängstigt um dich Tetilein«, rief sie, »ich und der arme Trottel! Wollt' schon auf der Polizei eine Verlustanzeige machen. – Na ja doch, du warst nicht nur ein paar Tage auf dem Land hierherum, sondern beinah vierzehn Täge.«

Die Rechnung stimmte. Siebeneinhalb Uhr morgens war es am Samstag nach Ostern, als Teta in der Wohnung der Frau Oberrevident auftauchte. Sie hatte ihre Reisetasche eigenhändig die drei Treppen heraufgeschleppt. Jetzt ließ sie das Gepäckstück fallen, atmete rasselnd und konnte nicht sprechen.

Die wackelköpfige Mila umtanzte sie erregt.

»Ich gratuliere, Schwesterlein! Ich gratulier'! Ich gratulier'!«

Teta wandte ihr einen bösen, vergrämten Blick zu.

»Sie gratuliert dir zum siebzigsten Geburtstag«, erklärte lächelnd die Zikan, »das ist doch ein großer Ehrentag im menschlichen Leben, und wir haben ihn nicht feiern können, weil du auf dem Land warst hierherum. – Aber jetzt komm in den Salon, Tetilein! Und Mila bringt den Kaffee und frisches Gebäck, ganz warm noch.«

Salon wurde das Sterbezimmer des Herrn Oberrevidenten der vielen Einrichtung wegen genannt. Teta ließ sich kraftlos unter der Burgzinne des plüschenen Kanapees verstauen. Sie mußte ihre ganze Kraft zusammennehmen, um sich die auf harter Bank aufrecht verbrachte Nachtfahrt nicht anmerken zu lassen. Gierig trank sie ihren Kaffee und aß zwei Kipfeln, eine Portion, die Katherina von ihrer Pensionärin nicht gewohnt war. Nach dem Frühstück aber überreichte sie Teta eines ihrer unansehnlichsten Erbstücke als Geschenk zum Wiegenfeste, wie sie feierlich sagte. Es war ein bemaltes Gipsfigürchen, das den heiligen Antonius darstellte.

»Du brauchst ihn nur zu bitten, Tetilein, und dann findest du alles, was du verloren hast.«

Teta nahm das Präsent ohne großen Dank entgegen. Antonius, der Schutzgeist der Vergeßlichen, war nicht ihr Heiliger.

»Nicht gut erholt hast du dich«, meinte jetzt die Zikan mit einem besorgt entlarvenden Blick, »du schaust blaß aus und grantig nach so vielen Tagen Erholung.«

»Wie hätt' ich mich auch erholen sollen in diesen Tägen«, versetzte Teta dunkel.

Mit harmloser Stimme legte die andere einen neuen Minengang.

»Du wirst dich abgerackert haben wieder, Schwester, ich kenn' dich – über Ostern vielleicht bei einer gnä' Herrschaft als Aushilf – auf dem Land hierherum ...«

»Was redst du da«, wich Teta aus, »ich hab' mich nicht abgerackert bei keiner gnä' Herrschaft.«

Die Frau Oberrevident öffnete einen viereckigen Riesenmund zu herzhaftem Gähnen.

»Langweilige Ostern waren das bei uns«, klagte sie. »Schönes Wetter, aber so langweilig. – Du aber, Tetinko, wirst uns Unterhaltliches erzählen können von deiner Reise.«

Teta stutzte, hob ein wenig den Kopf, zuckte die Achseln.

»Was soll ich Unterhaltliches erzählen? – Eine kleine Reise mit Erlaubnis. Ihr wart in der Stadt und ich war auf dem Land.«

Die Frau Oberrevident, die einen lila verblichenen Kimono aus der Witwenerbschaft Nummer zwei trug, lächelte liebevoll nachsichtig. »Wenn du gegen sieben angekommen bist, da mußt du doch schon in der Nacht abgefahren sein (oder nicht?).«

Teta starrte auf die Brotkrumen neben ihrer Tasse und sagte nichts. Die Zikan aber ging nach diesen Vorbereitungen zum frontalen Angriff über:

»Unterhaltliches wirst du doch gewiß zu erzählen haben. Von unserer Heimat, von Hustopec, nach fünfzig Jahren ...«

Teta lehnte sich zurück, schloß die Augen für ein paar Sekunden.



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