Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten – Martin Luther by Christian Nürnberger und Petra Gerster

Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten – Martin Luther by Christian Nürnberger und Petra Gerster

Autor:Christian Nürnberger und Petra Gerster [Gerster, Christian Nürnberger und Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
veröffentlicht: 2016-09-13T22:00:00+00:00


Aufräumen in Wittenberg

Der eine nannte den anderen »Erzteufel in Schafskleidern«, einen »reißenden Wolf«, der »nur Mord und Aufruhr und Blutvergießen anrichten« wolle. Der andere konterte mit Zuschreibungen wie »Bruder Mastschwein«, »Gevatter Leisetritt«, »Stocknarr«, »das giftige Würmlein mit seiner beschissenen Demut«.

Mit »Erzteufel in Schafskleidern« und »reißenden Wolf« hat Martin Luther Thomas Müntzer gemeint, von dem wir noch hören werden. Dieser sandte als Retourkutsche an Luther den Titel »Mastschwein« und die anderen Beschimpfungen.40

Man war nicht zimperlich damals. Die Political Correctness war noch nicht erfunden. Aus den Druckereien verbreiteten sich Karikaturen, Beleidigungen, Hasskommentare, die heutiger Facebook-Hetze durchaus ebenbürtig waren. Und sowohl Luther wie auch seine Gegner, die »Römlinge«, verstanden sich gut darauf. Bezeichnete Luther den Papst als »Antichrist«, so bezeichneten ihn die Papisten als »Afterpapst«. Machten sich Luther und Melanchthon über den Papst als Esel lustig und zeichnete Lucas Cranach den »Papstesel«, so beschimpften Luthers Kritiker ihn als Sprachrohr des Teufels und illustrierten die Schmähung mit des Teufels Sackpfeife – der Teufel bläst in einen Dudelsack, der die Form des Luther’schen Mönchskopfs hat.

Die Angriffe der Römlinge bekümmerten Luther weniger, die betrachtete er als »normal«, und sie konnten in gleicher Münze heimgezahlt werden. Schmerzlicher waren die Angriffe der ehemals eigenen Anhänger, die sich von Luther absetzten und – »auf eigene Faust«, wie Luther empfand – ihre eigenen Baustellen der Reformation errichteten.

Seit dem Anschlag der 95 Thesen waren noch keine vier Jahre vergangen, aber das, was sie im ganzen Land ausgelöst haben, und was im weiteren Verlauf immer häufiger »reformatio« genannt, aber nirgends definiert wurde, hatte längst ein unkontrollierbares Eigenleben entwickelt, das nicht mehr steuer- und nicht mehr vorhersagbar war. Die Zahl der Baustellen des Reformationsprojekts wurde rasch immer größer. Und wenn Luther gedacht haben sollte, er sei der alleinige Bauherr und Architekt dieses Umbaus der mittelalterlichen Gesellschaft, dann wurde er schon während seines Aufenthalts auf der Wartburg eines Besseren belehrt. So drang etwa die Nachricht zu ihm, dass er in Wittenberg eine Lücke hinterlasse, die andere zu füllen trachteten und die sich berufen fühlten, Luthers Lehren schnell in eine neue kirchliche Praxis umzusetzen.

Da war zum Beispiel Andreas Karlstadt, Luthers Doktorvater, der die Heiligenbilder und die Musik aus den Kirchen verbannen, den Zölibat abschaffen, den Gottesdienst erneuern und das Abendmahl anders feiern wollte als es bisher Tradition war. Seinen Studenten empfahl er, die Lehrbücher wegzuwerfen und die Hacke zur Hand zu nehmen, weil der Bauer der wahre, der gottgefällige Stand sei. Zum Weihnachtsfest 1521 zelebrierte er die erste evangelische Messe auf Deutsch, trug dabei kein Priestergewand, sondern weltliche Kleider, und war davon überzeugt, sicher ganz im Sinne Luthers zu handeln. Die Heirat mit Anna von Mochau Anfang des Jahres 1522 bezeugte seinen Bruch mit dem Zölibat. Im Februar 1522 ließ er die Bilder aus Wittenbergs Kirchen entfernen. Dabei kam es zu Ausschreitungen und Tumulten, denn nicht alle Sympathisanten der Reformation waren damit einverstanden, und der junge Philipp Melanchthon schwankte unentschieden zwischen Anerkennung und Ablehnung der Wittenberger Bilderstürmer, hätte wohl auch zu wenig Autorität gehabt, um erfolgreich dagegen einzuschreiten.

Luther auf seiner Burg erkannte natürlich hinter all diesen Umtrieben seine eigenen Gedanken.



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