Der Papierpalast by Miranda Cowley Heller

Der Papierpalast by Miranda Cowley Heller

Autor:Miranda Cowley Heller [Cowley Heller, Miranda]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783843726733
Herausgeber: Ullstein eBooks
veröffentlicht: 2022-02-28T23:00:00+00:00


17

Juli.

Sonntag. Wir nehmen uns einen Tag frei vom Sommerquartier. Jonas und ich haben beschlossen, ein Picknick am Strand zu machen. Wir wollen mit dem Kanu über den See fahren und von dort zum Meer laufen, dann kann Jonas auf dem Rückweg noch ein bisschen angeln. Als er bei uns ankommt, bin ich in der Küche gerade dabei, Sandwiches mit Schinken und Munsterkäse zu machen. Ein Glas mit Pickles in Dillessig und eine Thermoskanne mit Eistee habe ich schon in den Korb getan. Ich lege noch eine Tüte Kirschen, Papierservietten und eine Tüte mit Pizzastücken hinein. Jonas lehnt an der Theke und sieht mir zu, wie ich die Brote in Wachspapier einwickle und mit Kniffen perfekt verschließe.

Die Fliegengittertür geht auf und zu. Conrad setzt sich an den Tisch auf der Veranda. Ich stürze in den Vorratsraum, stecke den Kopf in den Kühlschrank und tue so, als suchte ich etwas.

Die Tür zu meiner Schlafhütte ist jede Nacht verriegelt, und bei Tage fühle ich mich sicher, solange ich nicht mit Conrad allein bin. Solange ich ihn nicht ansehe. Ich bin wie ein Pferd mit Scheuklappen. Conrad tut so, als wäre nichts passiert, aber er ist ungewöhnlich aufmerksam. Er schiebt mir am Tisch einen Stuhl zurecht, füllt mein Wasserglas nach.

»Was für ein höflicher junger Mann«, sagt meine Mutter lächelnd.

»Hallo, Conrad«, sagt Jonas.

»Was habt ihr vor?«, fragt Conrad.

»Nichts Besonderes. Elle macht ein Picknick für uns, wir gehen damit zum Strand.«

»Was macht sie denn?«

»Sandwiches mit Schinken und Käse.«

»Vielleicht komme ich mit.«

»In Ordnung«, sagt Jonas.

Das Senfglas fällt mir aus der Hand und zerbricht auf dem Fußboden. Um mich herum ist überall gelber Dijon-Senf.

Ich hocke mich hin und sammle die Scherben auf.

»Alles in Ordnung? Hast du dich geschnitten?«, fragt Jonas. Er kommt in die Vorratskammer, um mir zu helfen.

»Alles in Ordnung«, murmle ich. »Einfach nur überall Scherben und Senf.«

»Conrad will mitkommen.«

»Wir passen nicht zu dritt ins Kanu.«

»Ich kann auch später angeln. Die Barsche werden dann immer noch da sein.«

»Du hättest mich fragen sollen.«

»Was sollte ich sagen? ›Warte mal eben, ich frage Elle, ob es ihr recht ist … Tut mir leid, sie sagt Nein‹? Das wäre doch peinlich gewesen, mindestens.«

»Ich brauche feuchtes Zeitungspapier und einen Besen«, sage ich zornig.

»Ist wirklich alles in Ordnung?«

»Bestens«, sage ich und drehe mein Gesicht von ihm weg. »Hör auf zu fragen.«

Wir gehen im Gänsemarsch den Pfad entlang, der vom Haus zum Strand führt, erst Conrad, dann Jonas, dann ich.

Jonas unterhält sich mit Conrad. Ich gehe langsamer, lasse ihnen einen Vorsprung. Als sie außer Sicht sind, krümme ich mich und würge. Ich habe mich geirrt. Ich bringe es nicht fertig. Ich kann nicht in seiner Nähe sein. Kann nicht lächeln, nur mit einem Bikini bekleidet, am Strand sitzen und schwimmen, und alles in dem Wissen. In dem Wissen, dass er es weiß. Das Panikgefühl in mir ist wie eine Schlange, die aus meinem Mund zu gleiten droht.

Von vorne ruft Jonas nach mir.

»Ich habe mir den Zeh gestoßen«, rufe ich. »Ich komme gleich nach.«

Ich möchte umkehren, zurücklaufen und mich in meiner Hütte einschließen. Aber stattdessen schließe ich die Augen und zwinge mich, wieder ruhig zu werden und weiterzugehen.



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