Der Fall Scholl by Anja Reich

Autor:Anja Reich
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
Herausgeber: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
veröffentlicht: 2014-03-25T23:00:00+00:00

Gittis Ohnmacht

Diesmal war es kein Brief, sondern ein Anruf, eine Männerstimme, die Brigitte Scholl darüber informierte, dass ihr Mann sie betrog. Sie hatte es wieder geahnt, und als er das nächste Mal nach Hause kam, stellte sie ihn zur Rede. Heinrich Scholl gab sofort alles zu. Er sagte, sie wisse doch am besten, dass er die Zuneigung brauche, die sie ihm seit Jahren verwehre. Er sei schließlich kein alter Mann.

»Doch, das bist du«, sagte Gitti. Und ließ ihn stehen.

Es war, wie es immer war. Sie schrien sich nicht an, knallten nicht die Türen, warfen keine Gläser an die Wand. Wenn Gitti ihren Mann nicht länger ertrug, ging sie ins Bett. Wenn er ihre Listen nicht abarbeitete, gab es kein Abendbrot. Nur kam sie mit diesen Methoden jetzt nicht mehr weit. Ihrem Mann war es inzwischen egal, ob sie Abendbrot machte oder nicht. Er kam, wann er wollte, und konnte jederzeit einfach wieder in seine Berliner Wohnung fahren, zurück zu seiner Geliebten. Brigitte Scholl hatte die Kontrolle verloren. Sie war machtlos.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so ohnmächtig gefühlt, und das Schlimmste war: Niemand durfte etwas merken. Nur ihrer engsten Freundin Inge, die weit weg von Ludwigsfelde wohnte, vertraute sie sich an. Jeden Morgen telefonierten die Frauen miteinander, und Brigitte Scholl erzählte, was sie herausgefunden hatte. Es waren keine guten Neuigkeiten. Nicht nur, dass die Freundin ihres Mannes dreißig Jahre jünger war, sie war auch noch Kosmetikerin von Beruf, das zumindest hatte ihr Mann erzählt. Brigitte Scholl sagte zu ihrer Freundin, die sei bestimmt auf ihren Salon scharf. Sie kündigte an, das Haus in Ludwigsfelde auf ihren Sohn umschreiben zu lassen, sicherheitshalber. Die selbstbewusste, energische Gitti weinte jetzt oft am Telefon und sprach davon, nicht mehr leben zu wollen.

Jeden Morgen rief Inge Karther in Ludwigsfelde an, um sich zu vergewissern, dass Gitti sich nichts angetan hatte. »Sie wollte nicht mehr«, sagt sie, »sie wollte gar nichts mehr, nicht mal alleine das Haus verlassen. Sie hat auf Heiner geschimpft und ihn verflucht, aber im nächsten Moment wollte sie, dass er zu ihr zurückkommt. Sie sagte immer, so viele Jahre könne man doch nicht einfach so wegschmeißen.«

Brigitte Scholl bat ihre Freundin, ihren Mann anzurufen, um ihm zu sagen, was für eine gute Frau sie sei und was für eine schöne Familie sie hätten. Inge Karther wollte nicht, es war ihr unangenehm. Gitti ließ ihr keine Wahl. Als ihr Mann das nächste Mal zu Hause war, rief sie Inge an, sagte: »Warte mal, ich geb’ dir mal den Heiner«, und reichte den Hörer an ihren Mann weiter. Die treue Freundin in Anklam teilte Heinrich Scholl mit, dass sie es schäbig finde, was er mit Gitti mache. »Ich habe zu ihm gesagt, dass er keinen Arsch in der Hose hat. Er hätte sich schon fünf oder zehn Jahre vorher von ihr trennen sollen und nicht erst jetzt, wo man alt ist und keiner einen mehr will.«

Ihre Freundin Karin überredete Brigitte Scholl, zusammen mit ihr nach Berlin zu fahren, um ihren Mann auszukundschaften. Sie wusste immer noch nicht, wo er eigentlich wohnte.

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