Das Schlimmste Kommt Noch Oder Fast Eine Jugend by Bukowski Charles

Das Schlimmste Kommt Noch Oder Fast Eine Jugend by Bukowski Charles

Autor:Bukowski, Charles [Bukowski, Charles]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423209632
Google: 11f_PAAACAAJ
Amazon: 3423209631
Herausgeber: DTV Deutscher Taschenbuch
veröffentlicht: 2007-01-14T23:00:00+00:00


Und dann eröffnete mir mein Vater, ich solle mit Beginn des nächsten Schuljahres wieder an der Chelsey High weitermachen.

»Ich racker mir den Arsch ab, damit die Besucher nichts klauen. Gestern hat so ein Nigger eine Vitrine eingeschlagen und ein paar seltene Münzen gestohlen. Aber ich hab den Bastard erwischt. Ich hab mich mit ihm die ganze Treppe runtergewälzt und ihn festgehalten, bis die anderen dazugekommen sind. Ich riskiere jeden Tag mein Leben. Warum solltest du da auf deinem Arsch rumsitzen und den Griesgram mimen? Ich will, dass du mal Ingenieur wirst.

Aber wie zum Deibel soll aus dir 'n Ingenieur werden, wenn ich nichts als Hefte finde, die voll sind von Weibern mit dem Rock rauf bis zum Hintern? Ist das alles, was du zeichnen kannst?

Warum zeichnest du nicht Blumen oder Berge oder den Ozean? Du gehst mir wieder auf die Schule!«

Ich trank also Karottensaft und wartete auf den Beginn des nächsten Schuljahrs. Ich hatte nur ein Jahr verpasst. Mein Ausschlag war noch nicht geheilt, aber er war nicht mehr so schlimm wie vorher.

»Weißt du, was mich dein Karottensaft kostet? Die erste Stunde jeden Morgen arbeite ich bloß für deinen gottverdammten Karottensaft!«

Ich entdeckte inzwischen die La Cienega Public Library und besorgte mir einen Ausweis. Es war eine sehr kleine Bücherei, in der Nähe der alten Kirche am West Adams Boulevard, und sie hatten dort nur eine einzige Bibliothekarin. Die Dame war eine vornehme Erscheinung und wirkte sehr gebildet. Sie war ungefähr 38, hatte aber schon ganz weißes Haar, das im Nacken zu einem straffen Knoten gebunden war. Sie hatte eine spitze Nase und grüne Augen und trug eine randlose Brille. Man hatte den Eindruck, als wüsste sie rein alles.

Ich ging an den Regalen entlang und suchte nach Büchern, die mir etwas geben würden. Ich nahm eines nach dem anderen herunter, doch ich erlebte nur Pleiten. Sie waren elend langweilig. Die Autoren hatten Seite um Seite gefüllt, doch zu sagen hatten sie nichts. Und wenn sie etwas zu sagen hatten, dann taten sie es so weitschweifig, dass man bereits ermüdet war, wenn sie die Katze endlich aus dem Sack ließen. Ich suchte weiter. Unter den vielen Büchern musste doch wenigstens eines sein, das etwas taugte.

Jeden Tag ging ich runter zur Ecke Adams und La Brea, und an ihrem Schreibtisch saß wie immer meine Bibliothekarin, streng und schweigend und gewissenhaft. Ich nahm Bücher aus den Regalen und stellte sie wieder zurück. Endlich machte ich eine Entdeckung. Das Buch war von einem Mann namens Upton Sinclair. Er machte einfache Sätze und schrieb sich seinen Zorn von der Seele: Er schrieb über die Schlachthöfe von Chicago. Er machte keine Umschweife und schilderte es einfach, wie es war. Dann fand ich noch einen. Sinclair Lewis hieß er, und sein Buch nannte sich >Main Street<. Er entlarvte die Einbildung und den Hochmut der Menschen, doch es schien ihm an Leidenschaft zu fehlen.

Immer wieder kam ich zurück, fand weitere Bücher und lieh sie aus. Ich las jedes in einer einzigen Nacht durch.

Eines Tages strich ich wieder einmal an den Regalen entlang und warf dabei meiner Bibliothekarin verstohlene Blicke zu.



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