Das kleine Volk (1) by Augarde Steve

Das kleine Volk (1) by Augarde Steve

Autor:Augarde, Steve [Augarde, Steve]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Arena Verlag GmbH
veröffentlicht: 2015-07-19T16:00:00+00:00


14. Kapitel

Es klang, als zerre jemand einen Sarg über den Flur – Holz schrammte auf Holz – und Midge, die halb wach im Bett gelegen und vorsichtig die Kratzer in ihrem Nacken befühlt hatte, öffnete schließlich die Augen und gab die Hoffnung auf, in Ruhe ausschlafen zu können. Die Sonne schien bereits durch den Schlitz im Vorhang und sie musste die Augen zusammenkneifen, um die Zeiger auf ihrer Uhr erkennen zu können, so hell war es. Fünf nach neun. Rums, ratsch, rums. Was war das nur für ein Radau? Sie hörte Georges Stimme: »Fass mal mit an, Katie!«, und deren gedämpfte Antwort: »Kann nicht, ich mach mir die Haare.« Mehr Stöhnen und Ratschen.

Midge setzte sich seufzend auf, schlug die Decke zurück und schwang die Beine über die Bettkante – um rasch zu merken, dass sie noch einen Augenblick bleiben musste, wo sie war. Ihr ging’s nicht gut. Sämtliche Knochen taten ihr weh und die Haut prickelte an hundert Stellen von den Dornen, an denen sie hängen geblieben war. Und plötzlich war alles wieder da: die Angst, der Schmerz und der Schock, und sie wollte sich nur wieder hinlegen, zusammenrollen und bis in alle Ewigkeit schlafen. Sie vermisste ihre Mutter.

»Autsch!« Sie hörte George auf dem Flur hin und her gehen und leise fluchen. Ihre Neugier und Zähigkeit siegten über ihr Verlangen, noch einmal in die Kissen zu sinken, und sie stand auf. Mit steifen Schritten ging sie zur Tür, drehte an dem Messinggriff und lugte hinaus auf den Flur. George ging mit rotem Gesicht im Kreis herum, beide Hände unter den Achseln vergraben.

»Scheibe!«, zischte er, »Scheibescheibescheibescheibe …« Er sah Midge im Schlafanzug in der Tür stehen. Sie musste ihn gehört haben. »Oh, hallo. Äh … tut mir leid. Sie ist mir auf die Finger gefallen.« Er zog seine Hände unter den Achseln hervor und blies auf die Fingerspitzen.

Midge rieb sich die Augen und betrachtete die längliche Holzkiste, die den Flur blockierte. Sehr viel kleiner als ein Sarg war sie nicht. »Was ist das?«

»Munitionskiste. Hab ich letztes Jahr in den Osterferien gefunden.« Sein Gesicht nahm langsam wieder seine normale Farbe an und er hatte aufgehört, im Kreis herumzugehen. »Wiegt mindestens ’ne Tonne.« Er lutschte an seinen Fingern und blies dann wieder darauf, wobei sein Vorhang aus Haaren über die Knöchel fiel.

»Und was ist drin?«, wollte Midge wissen. Die Kiste war aus rohen Brettern zusammengezimmert und armeegrün angestrichen. An einem Ende hing ein Stück Seil heraus, der Rest eines Tragegriffs.

»Ach, alles Mögliche.« Kurzes Pony-Zurückwerfen. »Mein ganzes Baumhaus-Zeug.«

»Kannst du nicht was davon raustun?«

»Muss ich wahrscheinlich«, meinte George düster. »Ich habe gedacht, wenn ich sie bis zur Treppe schaffen kann, kommt sie dann schon allein runter – irgendwie.« Eine aufregende Idee, aber nicht unbedingt vernünftig, fand Midge. Und Phoebe, die am Fuß der Treppe wie immer tief und fest schlief, hätte ihr garantiert zugestimmt.

»Warte mal ’ne Sekunde«, sagte Midge. »Ich zieh mich rasch an.« Sie ging in ihr Zimmer und zog die noch relativ sauberen Kleider an, die sie am Abend zuvor getragen hatte. Sie stöhnte, als sie die Arme hob, um in ihr T-Shirt zu schlüpfen.



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