Canetti, Elias - Autobiographie 03 - Das Augenspiel - Lebensgeschichte 1931 by 1937

Canetti, Elias - Autobiographie 03 - Das Augenspiel - Lebensgeschichte 1931 by 1937

Autor:1937
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 2014-05-24T22:00:00+00:00


Teil 3 Der Zufall

Musil

Musil war – ohne daß es auffiel – immer zu Abwehr und Angriff gerüstet. Seine Haltung war seine Sicherheit. Man hätte an einen Panzer denken mögen, doch es war eher eine Schale. Was er zwischen sich und die Welt als deutliche Trennung setzte, hatte er sich nicht umgelegt, es war ihm angewachsen. Er erlaubte sich keine Interjektionen. Gefühlsworte mied er, alles Verbindliche war ihm suspekt. Wie um sich selbst zog er zwischen allen Dingen Grenzen. Vermischungen und Verbrüderungen, Überflüssen wie Überschwängen mißtraute er. Er war ein Mann des festen Aggregats und mied Flüssigkeiten wie Gase. Mit der Physik war er wohlvertraut, er hatte sie nicht nur erlernt, sie war ihm in Fleisch und Blut seines Geistes übergegangen. Einen Dichter, der so sehr Physiker war und es auch im Verlauf seines Lebenswerkes blieb, hat es wahrscheinlich nie gegeben. An unexakten Gesprächen beteiligte er sich nicht, wenn er sich unter den üblichen Schwätzern fand, denen man in Wien nicht entgehen konnte, zog er sich in seine Schale zurück und verstummte. Unter Wissenschaftlern fühlte er sich zuhause und wirkte natürlich. Er setzte voraus, daß man von etwas Genauem ausging und auf etwas Genaues zusteuerte. Für gewundene Wege fühlte er Verachtung und Haß. Er war aber keineswegs auf Einfaches aus, für die Unzulänglichkeit des Einfachen hatte er einen untrüglichen Instinkt und war fähig, es durch ein ausführliches Porträt zu vernichten. Sein Geist war zu reich ausgestattet, zu aktiv und akut, um an Einfachem Genüge zu finden.

Er fühlte sich nie unterlegen, in keiner Gesellschaft, und obwohl er es, unter vielen, selten darauf abgesehen hatte, hervorzutreten und sich zum Kampf zu stellen, faßte er jede solche Gelegenheit auf, als ob es zu einer Herausforderung gekommen wäre. Zum Kampf kam es, wenn er allein war, später, Jahre später. Er vergaß nichts. Jede Konfrontation bewahrte er auf, in jeder ihrer Einzelheiten, und da es ein innerster Zwang seiner Natur war, alle zum Sieg zu führen, war es schon darum unmöglich, mit einem Werk, das sie alle enthalten sollte, zu Ende zu kommen.

Unerwünschten Berührungen wich er aus. Er wollte Herr seines Körpers bleiben. Ich glaube, daß er nicht gern die Hand gab. Ein Vermeiden des Handgrußes wie unter Engländern wäre ihm sehr recht gewesen. Er hielt seinen Körper gewandt und kräftig und bestimmte in jeder Einzelheit über ihn. Er dachte auch mehr über ihn nach, als es unter den geistigen Menschen seiner Zeit üblich war. Sport und Hygiene war für ihn eins, die Einteilung seines Tages war davon bestimmt, er lebte nach ihren Vorschriften. In jede Figur, die er konzipierte, setzte er einen gesunden Menschen ein, sich selbst. Das Absonderlichste hob sich bei ihm von etwas ab, das seiner Gesundheit und Lebensfähigkeit bewußt war. Musil, der unendlich viel verstand, weil er präzis sah und noch präziser denken konnte, verlor sich nie in eine Figur. Er wußte den Weg heraus, schob ihn aber gern auf, weil er sich seiner so sicher fühlte.

Man verringert nicht seine Bedeutung, wenn man das Agonale an ihm betont. Seine Haltung zu Männern war eine des Kampfes.



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