Buch der Erinnerung by Peter Nadas

Buch der Erinnerung by Peter Nadas

Autor:Peter Nadas [Nadas, Peter]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3644023611
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2013-09-19T22:00:00+00:00


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Beschreibung einer Theateraufführung

Unsere Pappel hielt noch ihre letzten Blätter fest, sie mussten erst zu tödlicher Blässe vergilben, um zu fallen; ein Luftzug stöberte zwischen ihnen, zu kraftlos, die nach oben strebenden Aste bewegen zu können, die manchmal erzitterten, aber die Blätter wirbelten und wippten und schlugen mit ihren kurzen Stielen gegeneinander.

Draußen schien die Sonne, und die schwebenden, zitternden gelben Blätter ließen den fernen Himmel noch blauer erscheinen; weithin durchschweifte der Blick das reine Blau, so als könnte das Auge zwischen nah und fern unterscheiden und sähe nicht etwa in ein Nichts, das irgendwo doch eine Grenze hat, über die man nicht hinausgelangt.

Im Zimmer war es angenehm warm, im weißen Kachelofen summte leise das Feuer, der Rauch unserer Zigaretten sank in trägen Schichten nach unten und stieg bei der kleinsten Bewegung wieder nach oben.

Ich saß an seinem Schreibtisch, in seinem bequemen, ausladenden Sessel, welchen bevorzugten Platz in seinem Zimmer er mir immer überließ, und widmete mich meinen Notizen, was so viel bedeutete, dass ich mir, während ich durch den sanft schwebenden bläulichen Zigarettenrauch hindurch aus dem Fenster starrte, heraufzubeschwören versuchte, was sich am vorhergehenden Tage während der Probe auf der Bühne ereignet hatte; ein Bild schob sich über das andere.

Gesten und Worte, deren Sinn und Beweggründe wir plötzlich begreifen, deren im Augenblick des Geschehens mögliche und als zufällig erscheinende Unregelmäßigkeiten wir aber zugleich registrieren, Risse und Abgründe der Unvollkommenheit, die den Spieler von seinem Spiel trennen, den Schauspieler von seiner Rolle, die die Schauspieler gemäß den strengen Regeln ihres Berufs immer mit irgendetwas zu überbrücken suchen, als wollten sie die Trauer darüber, dass es keine vollständige Identität, keine vollkommene Anverwandlung gibt, vergessen machen, auch wenn die tiefste Sehnsucht menschlichen Tuns darin gipfelt.

Schon in den Augenblicken, in denen ich meine Notizen machte, eine mechanische Arbeit übrigens, schien es mir, dass das Gesetz, das mich wirklich interessiert – wenn es ein solches überhaupt gibt –, nicht in einer augenfälligen Verkettung von Ursachen, nicht in den beschreibbaren Bewegungen oder in den widerhallenden Worten zu finden ist, obwohl sie unerhört wichtig sind, leihen doch erst Bewegungen und Worte unseren Geschichten Fleisch und Blut, sondern in den sich zwischen den Worten und Bewegungen öffnenden, zufälligen und unvorhergesehenen Rissen und Abgründen, in den Regelwidrigkeiten und Unvollkommenheiten.

Er saß etwas weiter entfernt und schlug gleichmäßig auf seine Schreibmaschine ein, die Finger hob er nur von den Tasten, um hastig an seiner Zigarette zu ziehen, ich wusste nicht, was er schrieb, so lange und so gleichmäßig konnte er kaum an einem Gedicht schreiben, vielleicht an einem Text, den er für seine Radiosendungen brauchte, aber auch das war nicht wahrscheinlich, weil er vom Funk niemals auch nur einen Fetzen Papier mit nach Hause brachte oder einen dorthin mitnahm, mit leeren Händen bewegte er sich zwischen den beiden Schauplätzen seines Lebens, so als wolle er bewusst den einen vom anderen trennen; die Füße hatte er unter dem Schreibtisch ausgestreckt, was das Sitzen reichlich ungemütlich machen musste, so aber wärmte der schräg von oben hereinfallende Sonnenstrahl seine nackten Füße.

Und als er merkte,



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