Briefe An Felice by Franz Kafka

Briefe An Felice by Franz Kafka

Autor:Franz Kafka [Kafka, Franz]
Die sprache: deu
Format: azw3
veröffentlicht: 2014-05-27T16:00:00+00:00


Chybí strana 566

das den Wenzelsplatz oben abschließt. Eine Wohnung, wie man sie manchmal in Angstträumen bewohnt. Schon auf der Treppe kämpft man mit verschiedenen Gerüchen, man muß durch die finstere Küche eintreten, in einem Winkel weint ein Haufen Kinder, ein vergittertes Fenster hat Blei- und Glasglanz, das Ungeziefer wartet in seinen Löchern auf die Nacht. Das Leben in solchen Wohnungen kann man fast nur als Wirkung eines Fluches verstehn. Hier wird nicht gearbeitet, gearbeitet wird anderswo, hier wird nicht gesündigt, gesündigt wird anderswo, hier will man nur leben und kann es kaum. Wir sollten uns nicht nur Wohnungen ansehn, die wünschenswert sind, wir sollten einmal zusammen auch eine solche Wohnung ansehn, Felice.

F. An Grete Bloch 29.IV. 14

Wegen wessen quälen Sie sich denn, liebes Fräulein Grete, Und so halsbrecherisch? Mir hätten Sie

nicht wohlgetan, mir täten Sie nicht immefort Gutes? Mir, der ich Ihnen gegenüber immer das

Gefühl habe, daß es nur zweierlei reines, tränenloses, an die Grenzen unserer Kraft schlagendes

Glück gibt: einen Menschen haben, der einem treu ist und dem man sich treu fühlt und dann sich

selbst treu sein und sich vollkommen auszunützen, sich ohne Asche zu verbrennen.

Ihr Brief ist so eilig geschrieben; ich verstehe nicht alles. Wenn man Sie für Berlin aufnimmt, so

muß man Ihnen doch die Möglichkeit geben, sich dort einzurichten; daß Sie dort Ihre Familie

haben, geht doch niemanden etwas an. Ist es aber notwendig, daß Sie so bald mit der Arbeit

beginnen, dann wird man doch, besonders da Sie in dem gleichen Gesamtgeschäft bleiben, nicht

viel dagegen einwenden können, daß Sie früher, etwa eine Woche vor Pfingsten, von Wien

weggehn. Und in welchem Zustand, Fräulein Grete, ist jener Brief, nicht geschrieben sondern

gelesen worden, in dem angeblich steht: Bleib', wo Du bist - Immerhin, damit muß man nun rechnen, daß Sie Pfingsten nicht in Berlin sein werden, und daß mein Gegenüber im Coupé zu seinem und meinem Leid mein Vater sein wird. Schlimm! Schlimm! Und in Berlin werde ich das Kunststück des Empfangstags allein mit meinen zwei Beinen und Händen ausführen müssen. Ohne Ihre Hilfe. (F. wird mit ihrem Kunststück beschäftigt sein.) Nun, damit werde ich mich abfinden müssen. Und mich damit trösten müssen, daß Sie endlich aus der Wiener Enge und Trostlosigkeit herauskommen, Ihre Kräfte fühlen und wieder die so natürliche Lust an sich selbst bekommen werden. Vielleicht ist Ihre Lage im Wesen gar nicht so verschieden von meiner, nur daß sie Ihnen überraschender kam, Ihnen gar nicht entspricht und schließlich prachtvoll von Ihnen gesprengt werden muß.

Der Schaden, der für mich darin liegt, daß Sie Pfingsten wahrscheinlich nicht in Berlin sein werden, könnte ja für mich dadurch zum Nutzen gewendet werden, daß Sie nun doch jetzt mit F. zusammenkommen. Wann F. kommt, weiß ich allerdings noch nicht bestimmt. Ich nahm an, daß sie Freitag kommt, jetzt zweifele ich wieder. Gestern hatte ich einen Brief, in dem sie schreibt. »Grete schrieb mir inzwischen, daß sie nicht nach Prag kommen kann, da sie bereits am 1. Juni abgehen (schrecklich-schönes Berliner Wort!) wird. Ich werde ihr aber morgen noch einmal schreiben.« Wenn F. nicht F. wäre, müßten Sie also heute einen Brief haben, in dem auch etwas über Gmünd stehn müßte.



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