Begegnungen (Das Kleeblatt) by Hartwig Hansi

Begegnungen (Das Kleeblatt) by Hartwig Hansi

Autor:Hartwig, Hansi [Hartwig, Hansi]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-03-29T23:00:00+00:00


22. Kapitel

Sie konnte die Berührung bereits spüren, noch ehe sich die Hand sacht auf ihre Schulter legte. Das klägliche Wimmern ihres Babys drang aus dem Kinderzimmer an ihr Ohr. Und die Spatzen schimpften aus voller Kehle mit den Meisen, die ihnen die Körner im Futterhäuschen auf der Wiese streitig machten.

Und dann war da noch diese Stimme, die ihren Namen flüsterte. Sanft, zärtlich und – tatsächlich! – voll Liebe. Er ist Ire, wurde Suse in diesem Moment klar. Ein Ire genau wie ihr Mann, wenngleich er diese ihre Vermutung durch nichts bestätigt hatte und auch sein Name eher auf eine deutsche Abstammung schließen ließ. Sie konnte sich kaum etwas Wirkungsvolleres vorstellen, als in jenem butterweichen Gott-liebt-dich-Akzent beruhigt zu werden. Sie kannte ihn von Adrian.

Ich will nicht aufwachen, dachte sie trotzig und kniff die Augenlider fester zusammen. Ich will meine Ruhe. Und überhaupt wäre es am besten, nie mehr aufwachen zu müssen. Verschwinde, Clausing! Verschwindet ihr alle!

Es war besser so. Wann immer sie einen Menschen geliebt hatte, war er ihr auf grausame Weise entrissen worden. Ihre Freundin Cat war bei einem Autounfall ums Leben gekommen, Simone Schill und Svend Berner waren im Atlantik ertrunken, obendrein wurde seit mehreren Monaten ihre Freundin Beate vermisst. Und jetzt würden sie Adrian mit ihren Spritzen töten.

Sie wollte dieses Baby nicht lieben! Sie durfte es einfach nicht tun. Vielleicht hatte es dann eine Chance zu überleben.

„Susanne, wach auf.“ Der Druck seiner Finger verstärkte sich, als er sie vorsichtig an der Schulter rüttelte. „Manuel hat Hunger. Er braucht dich.“

Was für ein kompletter Schwachsinn! Das war nichts weiter als die typisch männliche Hilflosigkeit, die ihn zu diesen Worten zwang. Niemand brauchte sie. Das Leben würde ohne sie weitergehen. Nicht eine Sekunde lang würde die Erde aufhören sich zu drehen, wenn ihre kleinen Füße nicht mehr darauf herum stapften. Es würde keine plötzliche Sonnenfinsternis geben. Keine Nilpferde in Uniform. Nichts!

So war es immer gewesen. Mittlerweile kannte sie sich damit aus, zu oft hatte sie es erlebt. Jeder Mensch war ersetzbar, obwohl sein Verlust im ersten Moment in der Tat ein tiefes Loch in ein festes Gefüge riss. Irgendwann würde man das Fehlen dieses einen akzeptieren – man musste es akzeptieren, um nicht den Verstand zu verlieren – und damit beginnen, die entstandene Lücke mit Erinnerungen zu füllen, bis selbst diese verblassten. Gegen das Jetzt und Hier hatte die Vergangenheit keine Chance. Zwangsläufig rückten andere Menschen an die Stelle des Abwesenden, des Verschwundenen, des Verstorbenen.

Aber was wusste schon ein Doktoringenieur Clausing von ihrem Schmerz und den Verlusten, die sie erlitten hatte! Er kannte weder Angst oder Einsamkeit noch finanzielle Sorgen. Dieser Kerl hatte gut reden, nahm er sich doch einfach, was immer ihm wichtig erschien: schnelle Autos, luxuriöse Wohnungen, schöne Frauen. Und ohne Zweifel ersetzte er sie durch ein neues Spielzeug, wenn er ihrer überdrüssig wurde. Ein Matthias Emanuel Clausing war bloß zufrieden, solange er alles und jeden beherrschte und Befehle erteilen konnte wie ein junger Gott. Ein anderer Beruf, als Herr über Mensch und Material zu sein, war ihm vermutlich nie in den Sinn gekommen.



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