Anton und Marlene und die wahrhaftigen Wahrheiten by Antje Herden

Anton und Marlene und die wahrhaftigen Wahrheiten by Antje Herden

Autor:Antje Herden [Herden, Antje]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783733601645
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2016-09-26T00:00:00+00:00


Etwas später liefen wir wieder hinter den drei Blauen her durch die Steinflure. Sie schienen sich angeregt miteinander zu unterhalten, denn sie waren noch stiller und unbewegter als zuvor. Wenn das überhaupt möglich war.

»Die gehen hier nicht auf die Toilette«, raunte ich Marlene zu.

»Wie geht denn so was?«, fragte sie.

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Vielleicht essen die nur so viel und genau das, was sie auch verbrauchen. Dann müssen sie schon mal nicht Groß. Und dass sie Getränke durch diese silbergrauen Kapseln ersetzen, haben wir ja schon erlebt. Aber wie sie die Gifte und Abbaustoffe des Körpers loswerden, weiß ich nicht.«

»Vielleicht haben die gar keine Gifte und Abbaustoffe im Körper«, sagte Marlene.

Das war ein total gruseliger Gedanke. Obwohl sie so anders aussahen, hatte ich sie mir trotzdem als eine besondere Art Menschen vorgestellt. Dazu würde allerdings auch so etwas wie essen, trinken und aufs Klo gehen gehören.

Inzwischen bevölkerte sich der Flur. Immer wieder kamen blaue Gestalten aus anderen Gängen. Sie sahen für mich alle gleich aus und unterschieden sich lediglich in der Größe. Sie waren entweder allein unterwegs oder in einer Gruppe von Gleichgroßen desselben Geschlechts. Paare oder Eltern mit Kindern konnte ich nicht erkennen. Obwohl es immer mehr wurden, blieb es verwirrend still in den Gängen.

Die blauen Gestalten kamen nicht nah an uns heran, sondern hielten einen respektvollen Abstand ein oder warteten sich verbeugend, bis wir vorbeigelaufen waren. Keiner von ihnen schien besonders überrascht oder erstaunt zu sein, uns zu erblicken. Obwohl wir für sie doch quasi Außerirdische sein mussten. Das war mehr als seltsam, selbst wenn es in dieser Gesellschaft keine Gefühle gab oder man sie nicht zeigte. Aber vielleicht kann man sich als Erdenmensch auch einfach nicht vorstellen, wie es ist, nicht zu fühlen.

Vor einem großen Durchbruch, durch den viele Blaue kamen und gingen, blieben wir kurz stehen.

Das wird eure Frage beantworten, sagte die Männerstimme in unseren Köpfen.

Im ersten Moment wusste ich gar nicht, was gemeint war. Immerhin hatten wir nicht nur eine, sondern eine ganze Menge Fragen.

Ich schaute genauer in den Raum hinter dem Durchbruch. Es gab einen großen Empfangstresen, an dem sich die Blauen anstellten. Zwei Mittelgroße, die ich als Frauen erkannte, gaben jedem ein kleines Päckchen. Damit liefen sie weiter in den Raum hinein. Dort standen in langen Reihen Steinbetten mit den weißen weichen Decken. Neben jedem Bett befand sich ein großer Kasten. Die Blauen stöpselten einen Schlauch aus ihrem Päckchen in den Kasten, legten sich auf das Bett und schlossen den Schlauch an der Innenseite ihres linken Handgelenks an. Dann legten sie sich auf das Bett und die Decke über sich.

»Ach du meine Güte«, murmelte ich.

»Was machen die da?«, fragte Marlene.

»Sie lassen ihr Blut waschen, um alle Giftstoffe auszuspülen, weil sie nicht trinken«, sagte ich.

Jedes Neugeborene bekommt sofort einen Port in den Arm gelegt. Nach jeder siebten Schlafperiode gehen wir hierher, hörte ich eine erklärende Stimme in meinem Kopf.

Marlene schüttelte sich. »Das ist ja schrecklich! Ich will lieber jeden Tag zwei Liter Wasser trinken und Pipi machen.«

Mir fiel siedend heiß ein, dass sie doch schon vorhin gemusst hatte und nun die ganze Zeit einhielt.



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