Als ich vom Himmel fiel by Juliane Koepcke

Als ich vom Himmel fiel by Juliane Koepcke

Autor:Juliane Koepcke [Koepcke, Juliane]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-04-09T13:32:58+00:00


Während ich in der Nacht nach meiner Rettung im Haus des Arztes Dr.Lindholm in tiefem Schlaf liege, bricht in Pucallpa die Hölle los. Was sage ich Pucallpa– die unglaubliche Neuigkeit von meiner wundersamen Rettung geht um die ganze Welt! Ein Amateurfunker hat bereits um 16Uhr, kaum waren wir in Tournavista angelangt, die Nachricht über den Äther verbreitet. Die Angehörigen der anderen Passagiere, die sich gerade eben ins Unvermeidliche schickten und versuchen, sich mit dem Tod ihrer Lieben abzufinden, geraten nun wieder in eine irrsinnige Euphorie. Die Hoffnung, es könnten auch andere überlebt haben, flammt erneut auf. Am Abend läuft alles, was Beine hat, auf die Straßen und strömt zur Plaza de Armas. Zunächst können die Leute die gute Nachricht gar nicht glauben. Noch in derselben Nacht beruft der Comandante der Fuerza Aérea del Perú, kurz FAP, Manuel del Carpio, der die Suchaktion leitet, eine Pressekonferenz ein. Er bestätigt meine Rettung, verbietet aber jeglichen Kontakt zu mir mit dem Argument, ich stehe unter Schock und müsse mich erholen. Er erwähnt, dass ich nur leicht verletzt bin, was die Hoffnungen unter den Verwandten der Passagiere nur vergrößert. Wenn Juliane nicht schwer verletzt ist, dann könnten doch andere ebenfalls noch zu retten sein? Und wie ein Lauffeuer verbreitet sich auch eine weitere wertvolle Information. Während unserer Fahrt über den Río Shebonya habe ich Don Marcio und Don Amado nämlich beschrieben, wie die Stelle aussah, an welcher der Bach, dem ich gefolgt war, in den Río Shebonya mündete. Ich erzählte von der Caña Brava, und da sie die Gegend kannten, wussten sie, dass dieses Riesenschilf in größerer Menge nur an einer einzigen Mündung wächst: an derjenigen der Quebrada Raya, dem »Rochenbach«.

So kommt es, dass bereits in aller Frühe des nächsten Morgens der Pilot Robert Wenninger von der Missions-Hilfsorganisation »Alas de Esperanza« gemeinsam mit Marcio Rivera und Amado Pereira sein Flugzeug besteigt und sich von den beiden Waldläufern den Weg weisen lässt. Sie überfliegen die Mündung, folgen der Quebrada Raya und sichten bereits gegen zehn Uhr vormittags als Erste ein größeres Wrackteil aus dem Rumpf der LANSA-Maschine.

Als ich an diesem Morgen erwache, habe ich von all dem natürlich keine Ahnung. Alles erscheint mir so unwirklich. Ich liege in einem ziemlich großen, himmlisch bequemen Bett. Dann erinnere ich mich: Ich bin zuhause, ich bin in die Welt der Lebenden zurückgekehrt. Dennoch schwebe ich in einem Zustand, den ich nicht beschreiben kann– auch heute, nach so vielen Jahren, fällt es mir schwer. Es ist wie nach einer ganz dringenden Terminsache, für die man zur Hochform aufläuft, und danach fällt man in eine Leere. Man fühlt weder Ärger noch die Freude über das Erreichte. Man fühlt einfach nichts.

In dieser Art Schwebezustand befinde ich mich, da tritt mein Vater durch die Tür. Er kommt einfach herein und fragt: »Na, wie geht es dir denn?«

Ich sage: »Gut.«

Und dann nehmen wir uns in die Arme. Keiner von uns beiden weint. Ich freue mich so sehr, ihn zu sehen. Aber es ist mehr ein Wissen, kein Fühlen. In mir ist kein Raum für große Emotionen.



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