Wolfsmilch by Jutta Mehler

Wolfsmilch by Jutta Mehler

Autor:Jutta Mehler
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863587918
Herausgeber: Emons Verlag
veröffentlicht: 2015-04-09T16:00:00+00:00


11

Am Münchner Hauptbahnhof stiegen Fanni und Sprudel in die U2 um.

In der Bahn zog Fanni vorsichtshalber noch mal die Notizen zurate, die sie sich gemacht hatte, nachdem sie die Verkehrsanbindung zur Helsinkistraße gegoogelt hatte.

»Die Station, an der wir aussteigen müssen, heißt Messestadt West«, klärte sie Sprudel auf.

»Mindestens ein Dutzend Haltestellen bis dorthin«, ergänzte Sprudel, der inzwischen eine Abbildung des Münchner Liniennetzes studiert hatte.

Fanni dankte allen himmlischen Heerscharen, dass die Bahn halb leer war, weshalb genügend Sitzplätze zur Verfügung standen.

Als Fanni und Sprudel nach einer knappen halben Stunde am Edinburghplatz aus dem Untergrund auftauchten, fanden sie sich den Riem Arcaden gegenüber.

»Das ist also Münchens drittgrößtes Einkaufszentrum«, sagte Fanni und fügte sichtlich beeindruckt hinzu: »Wirklich gar nicht übel.«

Für eine Shoppingtour war allerdings keine Zeit. Mittlerweile war es kurz vor halb zwölf, der Zug aus Plattling hatte wie gewohnt Verspätung gehabt. Es blieben ihnen nur noch ein paar Minuten für den Weg die Helsinkistraße entlang zum Bürokomplex der Jesper GmbH, wenn sie rechtzeitig zu ihrem Termin bei Sven Jesper kommen wollten.

Als Fanni am Morgen zum Telefonhörer gegriffen hatte, war sie dafür gewappnet gewesen, eine Abfuhr hinnehmen zu müssen. Nach dem ersten Wortwechsel sah es auch ganz danach aus. Doch als sie noch einmal betonte, es handle sich um einen kurzen, privaten Besuch, der in Zusammenhang mit dem Tod von Ole Jesper stehe, nahm Sven Jespers Vorzimmerdame Rücksprache mit ihrem Chef, worauf sie erklärte, Herr Jesper könne die Herrschaften um halb zwölf empfangen.

Oles Bruder begrüßte sie in einem modern eingerichteten Büroraum, wo er sie zu einer Sitzgruppe führte und sie Platz zu nehmen bat.

Obwohl eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden war (markante Gesichtszüge, jugendliche Haartolle), hätten die Brüder unterschiedlicher nicht auftreten können. Fanni hatte Ole nie anders als in zerrissenen Jeans und ausgeblichenen T-Shirts gesehen, und er hatte sich immer lässig gegeben – hemdsärmelig, wie es so schön heißt.

Sven trug einen schicken Anzug –

Von Armani, wetten?

– ein weißes Hemd und eine Seidenkrawatte. Er war geschniegelt vom Scheitel bis zur Sohle und hielt den Oberkörper so kerzengerade, als wäre er in ein Korsett gezwängt.

Eine junge Frau brachte Tee, Kaffee, Wasser und Gebäck. Nachdem sie den Raum wieder verlassen hatte, begann Fanni: »Ich möchte Ihnen mein tief empfundenes Beileid aussprechen. Der Tod Ihres Bruders hat mich sehr getroffen. Anfangs waren wir nur gute Nachbarn, aber mit der Zeit haben wir uns angefreundet.« Dann förderte sie die Klangschale zutage und tischte dazu die Geschichte auf, die sie sich am Abend zuvor zurechtgelegt hatte.

»Er hat sie speziell für Sie hergestellt. Ich weiß das, weil er es mir gesagt hat, als ich ihm bei der Arbeit daran zugesehen habe. Und es ist ganz deutlich zu sehen gewesen, wie außerordentlich wichtig es ihm war, dass Sie sie auch bekommen. Deshalb wollte ich sie Ihnen persönlich überbringen.«

Sven Jesper nahm die Schale in beide Hände und betrachtete sie gedankenverloren. Nach einer Weile sagte er: »Ole war ein Träumer.«

»Ole war klug, gebildet, talentiert, kreativ, geistreich …« Als Fanni eine Pause einlegte, um nach weiteren Attributen zu suchen, hob Sven Jesper die Hand.

»Das war es ja, was unseren Vater so empört hat.



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