Wirru, das Wildpferd by Lothar Streblow

Wirru, das Wildpferd by Lothar Streblow

Autor:Lothar Streblow
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2018-06-20T00:00:00+00:00


Unverhoffter Abschied

Unwirsch wackelte Wirru mit den Ohren, kratzte sich mit den Hufen und peitschte seinen Schwanz um die Flanken. Es war Frühling geworden, ein neuer Frühling in der Steppe. Und mit den warmen Winden waren die Insekten gekommen, umschwirrten die zahllosen Blüten im Grün, die von ausgelassenem Spiel dampfenden Pferdeleiber.

Mit einemmal schob sich Senja an Wirrus Seite, strich mit ihrem Schwanz über seinen Kopf und beknabberte seinen Rücken. Wirru schnaubte anhaltend vor Wohlbehagen. Und behutsam begann er, der jungen Stute die Insekten zu vertreiben.

Lange jedoch blieben die beiden nicht unter sich. Der Junghengst Sarru näherte sich von der anderen Seite. Aber offenbar wollte er nicht raufen. Als er zur Begrüßung Wirru leicht gegen die Nase stieß, legte er dabei seine Ohren zurück und zeigte seine Unterlegenheit. Er suchte nur Putzkontakt bei seinen gleichaltrigen Gefährten; die älteren Stuten mied er. Und seine Mutter hatte in diesem Frühjahr wieder ein Fohlen bekommen, genau wie Wirrus Mutter.

Wirru duldete Sarrus Nähe. Noch waren die beiden keine Konkurrenten, auch wenn sie mitunter um den Rang rauften. Wirru spürte seine Überlegenheit. Und solange Sarru sie anerkannte, herrschte Frieden unter den beiden.

Über den Wildpferden schwebte eine dichte Traube summender Insekten. Und es kamen immer mehr. Schließlich wurde es Wirru zuviel. Im gestreckten Galopp preschte er über die grünenden Hügel der Steppe. Die beiden anderen folgten ihm.

Es war ein gutes Gefühl, den Wind zu spüren, der sich in seiner kurzen Stehmähne verfing, die donnernden Hufe der anderen hinter sich. Wirru spürte eine unbändige Lust zu laufen, immer weiter zu laufen. Die übrige Herde war längst hinter den Hügeln verschwunden. Und noch immer stürmte er weiter.

Erst in einer Senke vor einer einsam stehenden Pappelgruppe hielt er an. Flockiger Schaum tropfte von seinen Lippen. Sein Fell juckte, nicht nur von Insektenstichen. Heftig scheuerte er sich am Stamm einer Pappel. Große Haarbüschel lösten sich aus seinem struppigen Winterfell, schwebten zu Boden. Und Senja und Sarru rieben sich an den anderen Bäumen.

So standen sie eine Weile, scheuerten behaglich ihr Fell. Nur mitunter mußte eines niesen, wenn lose Haare in der Nase kribbelten. Trotzdem blieb Wirru wachsam, sicherte seine beiden Gefährten.

Plötzlich horchte er in die Ferne. Von jenseits der Hügel näherte sich gedämpftes Hufgetrappel, verstummte kurz und klang wieder auf. Ein bekanntes Wiehern drang zu den drei Jungpferden. Und auf einer kahlen Erhöhung hob sich die Silhouette des Leithengstes gegen den Himmel ab.

Mit ausgreifenden Schritten kam er den Hang herunter. Staub wirbelte hoch, als er kurz stoppte und die beiden Junghengste mit einer freundlichen Nasenberührung begrüßte. Wirru legte seine Ohren zurück. Und Sarru auch. Dann ging der Hengst langsam zu der jungen Stute, beroch sie aufmerksam und trieb sie sanft, aber energisch über die Hügel zur Herde.

Die beiden Junghengste schien er nicht weiter zu beachten. Er verscheuchte sie nicht, trieb sie aber auch nicht zurück. Er ließ sie einfach stehen, überließ sie sich selbst. Sie sollten selber entscheiden.

Wirru blickte ihm lange nach. So etwas war bisher nie geschehen. Und er begann allmählich zu begreifen, was das bedeutete. Er war nun mehr als zwei Jahre alt: ein Junghengst, der selbständig werden mußte.



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