Was Liebe ist - Roman by dtv

Was Liebe ist - Roman by dtv

Autor:dtv
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: dtv
veröffentlicht: 2013-01-30T05:00:00+00:00


ZWÖLF

AM NÄCHSTEN MORGEN geht es Zoe schlecht. Sie übergibt sich im Bad, davon erwacht er. Das hilflose Würgen dringt in seinen Halbschlaf. Er braucht nicht lange, um zu verstehen, was es zu bedeuten hat. Er steht auf, und sein erster Impuls ist es, zu ihr zu gehen. Aber dann fragt er sich, ob ihr das recht wäre.

Wäre es ihr recht, in diesem körperlichen Elend gesehen zu werden? Er kennt sie zu wenig, um das entscheiden zu können. Sie haben sich geliebt. Aber einen Menschen leiden zu sehen ist vielleicht noch intimer und persönlicher, als ein paar Sekunden des Glücks und der Ekstase miteinander zu teilen.

Zoe kommt aus dem Bad. Sie sieht müde aus und bleich, aber nicht erschreckend. Ihr Gesicht ist zu schön und zu eigen, um wirklich verwüstet und hässlich zu sein. Sie hält sich dennoch die Hand vors Gesicht, als wäre sein Blick der Kegel eines Scheinwerfers, der sie blendet.

»Du hättest mich bremsen sollen.«

»Tut mir leid.«

Sie legt sich ins Bett. »Ich bin ein Idiot.«

»Kann ich irgendetwas für dich tun?«

»Kotzen.«

»Es geht vorbei.«

Sie zieht sich die Decke bis weit über die Schultern.

»Wirklich. Du musst auf mich aufpassen.«

»Das werde ich.«

»Das hast du nun davon.«

»Wovon?«

»Von mir …«

Er geht ins Bad und dreht den Wasserhahn auf. Er lässt Wasser ablaufen und nimmt das weiße Kapselblättchen mit den Topamax-Tabletten aus seinem Waschbeutel. Vier Kapseln sind noch gefüllt. Das heißt, die Tabletten reichen für heute und morgen. Als er in Frankfurt aufgebrochen ist, hat er nicht damit gerechnet, länger als eine Woche fort zu sein. Jetzt sind seine Pläne hinfällig geworden. Er möchte, solange es geht, mit Zoe zusammen sein. Er weiß nicht, wohin das führt, aber er wird es nicht beenden, um an seine Tabletten in Frankfurt zu kommen. Es wird sich ein anderer Weg finden.

Der säuerliche Geruch des Erbrochenen liegt in der Luft des kleinen Bades. Er drückt eine Topamax aus der Kapsel und schluckt sie. Das Wasser ist jetzt angenehm kühl. Er rollt ein Handtuch zusammen. Er hält es unter den Hahn und wartet, bis es ganz durchnässt ist. Dann wringt er es aus und kehrt ins Zimmer zurück. »Hier«, sagt er und reicht Zoe das feuchte Tuch.

Sie schraubt ihr Gesicht aus der Decke und blinzelt. Sie nimmt die Stoffrolle entgegen und legt sie sich auf die Stirn.

»Danke«, sagt sie und schließt die Augen wieder.

Er würde ihr gerne noch mit anderen Handreichungen und Erleichterungen helfen, aber er kann nicht viel für sie tun.

Sie sagt: »Irgendwo die Straße runter, rechts oder links, ist eine Apotheke. Holst du eine Schachtel Vomex?«

»Na klar«, sagt er.

»Dann sind wir quitt«, sagt sie.

»Gut. Ich notiere meine Nummer auf der Schachtel.«

Sie lächelt sogar ein wenig.

Auf dem Oudezijds Achterburgwal zwängen sich die Autos auf der schmalen Backsteinpromenade zwischen den Häusern und der Gracht durch. Eine Entenfamilie badet auf dem Wasser, das in der Morgensonne glitzert. Von der Gracht her riecht es kühl und intensiv nach Herbst. Ein Frühstücks- und Lunchcafé bietet auf einer Tafel Cappuccino und Croissants an. Er frühstückt im Stehen und schnell. Die Koberfenster sind jetzt leer.

In der Apotheke versteht man Deutsch und kann auch mit dem Markennamen Vomex etwas anfangen.



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