Das Labyrinth der Traumenden Bucher by Moers Walter

Das Labyrinth der Traumenden Bucher by Moers Walter

Autor:Moers Walter
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: E Books der Verlagsgruppe Random House
veröffentlicht: 2011-09-15T04:00:00+00:00


»Die liegen hier einfach so rum?«, staunte ich. »Man könnte sie ohne weiteres klauen.«

»Das passiert auch gelegentlich«, sagte die Schreckse. »Hin und wieder verschwindet eine Puppe unter einem Umhang. Aber sie werden nach der Vorstellung immer wieder zurückgelegt.«

»Man legt die gestohlenen Puppen zurück?«, fragte ich, als wir weitergingen. »Wieso?«

»Weil man nach der Vorstellung einen ganz anderen Begriff von Puppen hat«, antwortete die Schreckse und schenkte mir ein geheimnisvolles Lächeln. Sie blieb vor einer tapezierten Wand stehen und zog einen Schlüssel aus ihrem Mantel. »Hier rein!«, befahl sie, öffnete eine Tapetentür in der Wand und schlüpfte hinein. Ich folgte ihr so überrascht wie neugierig. Dahinter führte eine kurze gewundene Eisentreppe nach oben, welche die Schreckse energisch hinaufstieg. »Unsere Privatloge«, verkündete sie stolz, als wir auf den kleinen Balkon traten, an dem die Treppe endete. In ihrer Stimme schwang ein wenig Stolz mit.

Ich trat an die Brüstung des Balkons und nahm den Theatersaal in Augenschein. Mein erster Eindruck war, dass er größer erschien, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Viel größer.

»Das geht jedem so«, bemerkte die Schreckse, ohne dass ich etwas gesagt hätte. »Keine Ahnung, wie sie das machen! Es gibt größere Theatersäle in Zamonien, aber keinen einzigen, der nur halb so groß wirkt wie dieser. Von Illusionen verstehen sie hier wirklich was. Wirst du noch sehen.«

Wir setzten uns in die bequemen, mit schwarzem Samt bezogenen Sessel. Auf einem kleinen Tisch zwischen uns lagen zwei Operngläser bereit. Sicher hatte eines davon Kibitzer gehört, und mir wurde für einen Augenblick etwas unbehaglich. Um mich von dem unangenehmen Gedanken abzulenken, lehnte ich mich über die Brüstung und ließ meinen Blick schweifen. Unter uns füllten sich die Reihen rasch mit Zuschauern.

Das war kein normales Theater, so viel konnte man schon mal ohne Übertreibung behaupten. Zum Beispiel gab es nicht nur einen einzigen großen Vorhang, sondern gleich sieben Stück in verschiedenen Größen, die in einem Halbkreis nebeneinander angeordnet waren. Einer war aus rotem Samt, einer pechschwarz, ein dritter aus goldener Seide. Und dann noch vier andere, die mit Märchenfiguren, Musiknoten oder abstrakten Mustern bestickt waren – besonders geschmackssicher wirkte das nicht. An den Wänden des Saals waren ringsum hohe Spiegel aufgestellt, welche die Sitzreihen optisch verdoppelten und damit zum falschen Eindruck der Größe beitrugen. Und überall standen die obligatorischen Sand- und Wassereimer zur Brandbekämpfung.

Wirklich imponierend war die Gestaltung der Logen, von denen sich rings um den Theatersaal ein Dutzend befanden. Sie waren kunstvoll den Schädeln von Fabelwesen nachempfunden – es sah ein wenig so aus, als würden riesige Drachen, gehörnte Seeschlangen und Greifvögel ihre Köpfe durch die Wände des Theaters stecken. Jede einzelne Loge war individuell gestaltet und innen mit schwarzem Samt ausgeschlagen, die Balkone hatte man reich mit Ornamentik und Blattgold verziert. Ich registrierte, wie sich die anderen Logen rasch mit Publikum füllten.



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