Die Erzaehlungen 1900-1906 by Hermann Hesse
Autor:Hermann Hesse [Hesse, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Man hatte abgetragen, und es wurden Kaffee, Kognak und Zigarren ge-
bracht.
Paul wurde von Fräulein Thusnelde gefragt, ob er auch rauche.
Nein , sagte er,
es schmeckt mir gar nicht.
Dann fügte er, nach einer Pause, plötzlich ehrlich hinzu:
Ich darf auch
noch nicht.
Als er das sagte, lächelte Fräulein Thusnelde ihm schelmisch zu, wobei sie
den Kopf etwas auf die Seite neigte. In diesem Augenblick erschien sie dem
Knaben charmant, und er bereute den vorher auf sie geworfenen Haß. Sie
konnte doch sehr nett sein.
Der Abend war so warm und einladend, daß man noch um elf Uhr unter
den leise flackernden Windlichtern im Garten draußen saß. Und daß die Gäste
sich von der Reise müde gefühlt hatten und eigentlich früh zu Bett hatten
gehen wollen, daran dachte jetzt niemand mehr.
Die warme Luft wogte in leichter Schwüle ungleich und träumend hin und
wider, der Himmel war ganz in der Höhe sternklar und feuchtglänzend, gegen
die Berge hin tiefschwarz und golden vom fiebernden Geäder des Wetterleuch-
tens überspannt. Die Gebüsche dufteten süß und schwer, und der weiße Jasmin
schimmerte mit unsicheren Lichtern fahl aus der Finsternis.
Sie glauben also, diese Reform unserer Kultur werde nicht aus dem Volks-
bewußtsein kommen, sondern von einem oder einigen genialen Einzelnen?
Der Professor legte eine gewisse Nachsicht in den Ton seiner Frage.
Ich denke es mir so – , erwiderte etwas steif der Hauslehrer und begann
eine lange Rede, welcher außer dem Professor niemand zuhörte.
Herr Abderegg scherzte mit .,der kleinen Berta, welcher die Tante Beistand
leistete. Erlag voll Behagen im Stuhl zurück und trank Weißwein mit Sauer-
wasser.
Sie haben den >Ekkehard< also auch gelesen?
fragte Paul das Fräulein
Thusnelde.
Sie lag in einem sehr niedriggestellten Klappstuhl, hatte den Kopf ganz
zurückgelegt und sah geradeaus in die Höhe.
Jawohl , sagte sie.
Eigentlich sollte man Ihnen solche Bücher noch ver-
bieten.
So? Warum denn?
Weil Sie ja doch noch nicht alles verstehen können.
Glauben Sie?
Natürlich.
Es gibt aber Stellen darin, die ich vielleicht besser als Sie verstanden ha-
be.
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Wirklich? Welche denn?
Die lateinischen.
Was Sie für Witze machen!
Paul war sehr munter. Er hatte zu Abend etwas Wein zu trinken bekommen,
nun fand er es köstlich, in die weiche, dunkle Nacht hineinzureden, und wartete neugierig, ob es ihm gelänge, die elegante Dame ein wenig aus ihrer trägen
Ruhe zu bringen, zu einem heftigeren Widerspruch oder zu einem Gelächter.
Aber sie schaute nicht zu ihm herüber. Sie lag unbeweglich, das Gesicht nach oben, eine Hand auf dem Stuhl, die andre bis zur Erde herabhängend. Ihr
weißer Hals und ihr weißes Gesicht hoben sich matt schimmernd von den
schwarzen Bäumen ab.
Was hat Ihnen denn im >Ekkehard< am besten gefallen?
fragte sie jetzt,
wieder ohne ihn anzusehen.
Der Rausch des Herrn Spazzo.
Ach?
Nein, wie die alte Waldfrau vertrieben wird.
So?
Oder vielleicht hat mir doch das am besten gefallen, wie die Praxedis ihn
aus dem Kerker entwischen läßt. Das ist fein.
Ja, das ist fein. Wie war es nur?
Wie sie nachher Asche hinschüttet –
Ach ja. Ja, ich weiß.
Aber jetzt müssen Sie mir auch sagen, was Ihnen am besten gefällt.
Im >Ekkehard<?
Ja, natürlich.
Dieselbe Stelle. Wo Praxedis dem Mönch davonhilft. Wie sie ihm da noch
einen Kuß mitgibt und dann lächelt und ins Schloß zurückgeht.
Ja – ja , sagte Paul langsam, aber er konnte sich des Kusses nicht erinnern.
Des Professors Gespräch mit dem Hauslehrer war zu Ende gegangen.
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