Was kann man heute noch glauben? - ein Disput by Gütersloher Verlagshaus
Autor:Gütersloher Verlagshaus
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Herausgeber: Gütersloher Verlagshaus
veröffentlicht: 2013-12-23T23:00:00+00:00
NIKOLAUS SCHNEIDER
30. AUGUST 2012
Glauben zu begründen heiÃt nicht, ihn wissenschaftlich beweisen zu müssen. Eine gleichnishafte und poetische Rede kann Gott ebenso auf die Spur kommen, wie es historisch-kritische Forschung kann.
Streiten wir also weiter, lieber Herr Urban, mit Demut, mit Leidenschaft und mit der Hoffnung, dass unsere Fragen und vielleicht besonders unsere einander widersprechenden Antworten anregend für Leser und Leserinnen sind, selber zu fragen und manches neu zu denken â aber dabei auch den Glauben und das Vertrauen nicht zu verlernen!
Lassen Sie mich mit dem programmatischen Satz am Ende Ihres letzten Beitrags beginnen: »Die Kirche darf nicht nur bekennen, sondern sie muss ihr Bekenntnis immer wieder im Lichte neuer Erkenntnis neu zu begründen suchen.«
Dieser Aufgabenzuschreibung für die christliche Kirche stimme ich durchaus zu. Allerdings scheint mir ein entscheidender Dissens zwischen uns beiden darin zu liegen, dass wir den Begriff »begründen« inhaltlich unterschiedlich füllen. Für mich ist begründen nicht identisch mit wissenschaftlich absichern oder gar mit wissenschaftlich beweisen. Wenn ich etwas für mich existentiell Wichtiges begründe, dann gebe ich Auskunft über den Grund meines Denkens, Fühlens, Glaubens, Liebens und Hoffens. Das gilt für mich persönlich. Aber das gilt auch für mein kirchliches Reden und Verkündigen, wenn ich christliche Bekenntnisse »im Licht neuer Erkenntnis neu begründe«.
Und eine »neue Erkenntnis« ist für mich, dass viele Menschen in unserer pluralen Gesellschaft es verlernt â oder erst gar nicht gelernt â haben, vertrauensvolle Bindungen und verbindliche Beziehungen einzugehen. Das gilt nicht nur im individuell-persönlichen Bereich, also im Blick auf eine vertrauensvolle Gottesbindung oder auf eine langfristige Liebesbeziehung. Das betrifft auch gesellschaftlich relevante Institutionen und Organisationen wie Gewerkschaften, politische Parteien und eben auch die Kirchen und religiösen Gemeinschaften. Im Licht dieser Erkenntnis scheint es mir heute mehr geboten, dass kirchliches Reden und Verkündigen die menschliche Bereitschaft und Fähigkeit zu einem nachhaltigen Vertrauen stärken, als dass sie â wie Rudolf Bultmann es vor mehr als 50 Jahren als dringende Aufgabe seiner Zeit erkannte â die »naive Gläubigkeit« von Menschen erschüttern müsste. Tatsächlich beobachte ich auch unter den Christinnen und Christen, die sonntags zur Kirche gehen, nur sehr wenig »naive Gläubigkeit«. Die »Erziehung zur Kritik«, die im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts in unserem Land von den Studentenunruhen ausging und viele Verkrustungen des Denkens aufbrach, erreichte auch Kirchgänger und Kirchgängerinnen. Der Begründungsdruck für kirchliche ÃuÃerungen und Bekenntnisse hat in den letzten Jahrzehnten durchaus zugenommen. Und mir scheint, er verstärkt sich gegenwärtig erneut angesichts einer aggressiver werdenden atheistischen Weltanschauung.
Der Grund, von dem aus die Kirche â beziehungsweise Menschen mit kirchlichen Aufgaben und Funktionen â ihre Glaubensbekenntnisse begründen, ist eben nicht das Ergebnis eines aktuellen theologisch-wissenschaftlichen Forschens und auch nicht das Licht neuer naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Ebenso wenig wie die »Lehren und Riten ihrer Altvorderen«. Der Grund für alles Reden und Handeln der Kirche war und ist und bleibt das Evangelium von Jesus Christus â sonst gäbe die Kirche sich selbst auf.
Und damit sind wir wohl wieder einmal bei der Frage und bei der Kontroverse, die unseren ganzen Wortwechsel durchzieht: Welche Möglichkeiten haben wir als Menschen, das Evangelium von Jesus Christus zu
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