Von Bluterguss bis Exitus: Aus dem Alltag eines Assistenzarztes by Florian Teeg
Autor:Florian Teeg [Teeg, Florian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Politikwissenschaft, Biografien & Erinnerungen, Weitere Berufe & Themen, Wissenschaft, Medizin & Psychologie, Politik & Geschichte
ISBN: 9783453602540
Google: PxvbuQAACAAJ
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2015-03-17T16:00:00+00:00
Frau Reuter oder der Kampf gegen den Streukrebs
Ich folgte dem Oberarzt ins Zimmer. Um mich aus der Schusslinie zu nehmen, suchte ich mir einen Platz ganz hinten neben dem Schrank. Ich versuchte, Schlunks bohrende Blicke an mir abperlen zu lassen, und konzentrierte mich auf Dr. Ranner. Dieser trug heute mal wieder Fliege und war besonders akkurat gescheitelt. Nur seine Augenringe verrieten, dass er gestern Abend entweder zu lange geforscht hatte oder zu nächtlichen Ausflügen neigte. Doch ich sollte meine Gedanken besser schleunigst zurück zu meinen beiden Dicken lenken. Mühsam verbannte ich Bilder von Dr. Ranner in Lack und Leder aus meinem Geist, verscheuchte auch die dunklen Locken von Teresa und kehrte zurück zum schwarzen Zeh von Frau Kramer. Gleichzeitig hoffte ich, dass Nina mit der Vorstellung ihrer Patienten anfangen würde.
Dr. Ranner ging nicht weiter auf die Situation vor der Arztzimmertür ein, sondern leitete gleich über zum professionellmedizinischen Teil seines Besuches:
»Okay, also, wer ist heute gekommen? Wer will anfangen?«
So lief es eigentlich jeden Tag. Zumindest wenn Dr. Ranner im Hause war. Er kam zwischen 15 und 16 Uhr bei uns im Arztzimmer vorbei, und wir besprachen die neu aufgenommenen Patienten sowie eventuelle Probleme bei denen, die schon da waren. Der Reihe nach mussten alle berichten. Meist begannen die Studenten, die ihr praktisches Jahr bei uns ableisteten und PJler genannt wurden. Wir missbrauchten sie gerne zum Aufnehmen solcher Patienten, die schon x-mal bei uns waren und lediglich zu Kontrollen oder Routineprozeduren kamen. Zurzeit gab es bei uns allerdings keine. Bei der letzten Verteilung hatten wir keine abbekommen. Vielleicht waren wir zu der letzten Garde nicht nett genug gewesen. Insbesondere Schlunk ließ gegenüber PJlern gerne den Stationsarzt raushängen. Mit fast schon sadistischer Lust stellte er den armen Studierenden öfters Fragen nach medizinischen Zusammenhängen, die sie unmöglich wissen konnten. Dann brachte er die stammelnden und zunehmend frustrierten PJler mit dem Klassiker »Wenn man keine Ahnung hat, sollte man die Klappe halten« wieder zum Schweigen. Leider sprach sich bei den Studierenden schnell herum, auf welcher Station sie wie behandelt wurden, wie viel Zeit die Ärzte sich für sie nahmen und wo sie etwas lernen konnten. Wenn sie sich nicht wertgeschätzt fühlten, dann suchten sie sich eben eine andere Station. Konnte man ja irgendwie auch verstehen. Immerhin bekamen sie kein Geld für ihre Arbeit. Na ja, und deswegen hatten wir jetzt keine mehr und mussten alles selber machen: Blut abnehmen, Flexülen legen, Infusionen anhängen und eben auch die Aufnahme von Routinepatienten.
Dr. Ranner sah erwartungsvoll in die Runde. Nina lächelte souverän und selbstbewusst zurück. Dann warf sie mir einen kühlen »Ich-fange-an!« – Blick zu und begann. Das war mir nur recht.
Nina hatte zwei Patienten aufgenommen. Beides eigentlich typische PJler-Aufnahmen. Der Erste war Herr Schnäbler, ein TIPS-Patient. Ich kannte ihn zwar noch nicht, an den gelangweilten Reaktionen von Dr. Ranner und Schlunk merkte ich allerdings, dass er zum gefühlten Inventar der Klinik gehören musste. Wie so viele unserer Patienten war auch er ein Opfer des Alkohols beziehungsweise seines Trinkverhaltens. Es war wohl knapp gewesen damals vor einigen Jahren,
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