Totenfrucht (German Edition) by Curd Nickel

Autor:Curd Nickel [Nickel, Curd]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783944264592
Herausgeber: SWB Media Publishing
veröffentlicht: 2015-01-29T23:00:00+00:00

V. Erwachsenenalter

Die Volljährigkeit ist bei den Jugendlichen etwas, worauf sie seit jeher ungeduldig gewartet hatten. Und trotz aller Ungeduld ist es dann endlich doch so weit: Die quälenden Jahre des Wartens sind vorbei, man ist erwachsen! Auf dem Papier jedenfalls. Die Reife im Kopf jedoch ist ein individueller Prozess, der mit der Anzahl von Lebensjahren recht wenig zu tun hat. Es soll Menschen geben, die halt nie erwachsen werden, sagt man …

Aber der Gesetzgeber hat nun mal die Altersvorgabe des Erwachsenseins mit achtzehn Jahren festgelegt. Und bei Robert war es an diesem Tage so weit.

Schon zum Frühstück hatte Deborah festlich den Tisch gedeckt. Vor Roberts Teller platzierte sie eine Kerze und um seinen Teller wurde ein kleiner Blumenkranz gelegt. Dies waren so kleine Gesten, die die Frau sehr gern vollzog und die ihre Liebe und Zuneigung ausdrücken sollten.

Nun war ihr Sohn volljährig. Und wenn sie die vergangenen achtzehn Jahre Revue passieren ließ, dann wurde ihr bewusst, welch anstrengende Zeit sie und Alan für ihren Sohn hatten aufwenden müssen. Abgesehen von den körperlichen Defiziten des Jungen waren es auch die Verhaltensauffälligkeiten, die immer wieder an den Nerven gezerrt hatten. Doch sie hatten dies alles durchgestanden und sich stetig bemüht, immer gute Eltern für ihn zu sein. Und insgeheim hoffen Eltern immer, dass sie irgendwann mal etwas zurückbekommen, dass man ihnen ihre Mühen danken wird.

Ob Robert jedoch in den kommenden Jahren ihnen das jemals wirklich danken würde, da hatten sie ihre erheblichen Zweifel. Allein schon, weil er im Sozialverhalten ein Krankheitsbild aufwies, für das er überhaupt nichts konnte. Insofern war dies entschuldbar und konnte ihm nicht vorgehalten werden. Und darum empfanden sie es einfach nur schade, dass sie sich bewusst sein mussten, dass ihr Aufwand von dem Jungen nie so richtig entschädigt werden würde.

Sicher, in Bezug auf Intelligenz war das Kind herausragend und zog so manche Bewunderung auf sich. Doch das war dann auch so ziemlich alles, was sie auf ihr Kind stolz machen konnte, und im Verhältnis zu anderen Kindern wahrlich verdammt wenig!

Und leider war da noch etwas, was Deborah und Alan so gar nicht wissen wollten, was sie verdrängten und sie ängstigte: Es war die pure Angst vor der Wahrheit und ihren Befürchtungen. Befürchtungen, die ihren Sohn betrafen und die so abscheulich waren, dass sie einfach totgeschwiegen wurden.

»Happy Birthday, mein Junge!«, lachte Deborah, als Robert zur Küche hereinkam.

Auch Alan applaudierte dabei zustimmend und zwinkerte seiner Frau zu. Beide freuten sich schon jetzt auf Roberts Gesicht, wenn er sein Geschenk auspackte. Irgendwie schon ein wenig stolz, nun als erwachsen zu gelten, nahm Robert die Glückwünsche seiner Eltern an und ließ sich knuddeln. Körperliche Nähe zwischen den dreien war im Laufe der Zeit ziemlich karger geworden, was natürlich einen völlig normalen Entwicklungsprozess in diesem Alter darstellt.

Strahlend, wie ein Honigkuchenpferd, reichte Deborah ihrem Sohn ein kleines, in goldenem Papier eingepacktes Paketchen, das mit einem roten Schleifchen verziert war.

»Für unserem Schatz!«, sagte sie mit beabsichtigter Spannung in der Stimme.

»Für mich …?«, spielte Robert das kleine Spielchen mit. »Das war doch überhaupt nicht nötig!«

»Nicht …?«, scherzte sein Vater.

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