Die Buchspringer by Mechthild Gläser

Die Buchspringer by Mechthild Gläser

Autor:Mechthild Gläser [Mechthild Gläser]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Belletristik für Kinder und Jugend
ISBN: 9783732002535
Herausgeber: Loewe Verlag
veröffentlicht: 2015-02-22T16:00:00+00:00


Der Ritter pirschte sich an das Ungeheuer heran.

Leise, leise.

11

Das Kind im Moor

»Ich wollte dich für heute eigentlich damit beauftragen, die Affen im Dschungelbuch zu zählen. Um zu überprüfen, ob noch alle da sind und es ihnen gut geht«, teilte mir Glenn am nächsten Morgen zu Beginn des Unterrichts mit. »Aber nun gehe ich davon aus, dass ich mir solche Aufgaben sparen kann. Du würdest dich ja doch nicht daran halten.«

Es klang mehr nach einer Feststellung als nach einem Vorwurf. Glenns narbiges Gesicht war unbewegt, der Ausdruck in seinem gesunden Auge undurchdringlich. Schwer zu sagen, ob er meine Jagd nach dem Dieb inzwischen guthieß oder noch immer glaubte, ich würde mir die Dinge zusammenfantasieren. »Also springt einfach«, sagte er schließlich zu Betsy und mir und genau das taten wir.

Während Will den kaputten Torbogen des Steinkreises untersuchte, verschwand Betsy wie immer in ihrer Märchensammlung. Ich hingegen landete schon bald im Dschungelbuch, wo mir Schir Khan mitteilte, dass Werther es heute leider nicht schaffen würde, mich zu begleiten. Anscheinend war in den letzten Tagen einiges von seinen eigentlichen Aufgaben in der Buchwelt liegen geblieben, um das er sich heute kümmern wollte. Sich unglücklich verlieben, zum Beispiel. Oder Selbstmord begehen. So was eben.

Also machten sich der Tiger und ich allein auf den Weg. Den Vormittag über durchkämmten wir Don Quichotte, am Nachmittag, beim Sprung von meinem Zimmer aus, nahmen wir uns ein Shakespeare-Sonett vor und dazwischen versuchten wir in der Zeile Gerüchte über weitere verschwundene Ideen aufzuschnappen. Leider ohne Erfolg. Entweder war der Dieb sehr viel geschickter geworden oder er legte eine Pause ein …

Frustriert kroch ich schließlich am späten Abend zurück in der Draußenwelt unter meine Decke. Eigentlich hatte ich vorgehabt, vor dem Schlafengehen noch ein weiteres Mal zu springen. Doch plötzlich beschlich mich das Gefühl, dass ich dadurch wohl auch nicht weiterkommen würde. Denn selbst wenn der Dieb wieder zuschlagen würde, die Wahrscheinlichkeit war gering, dass ich mich genau dann in der richtigen Geschichte aufhielt. Dabei war ich seit gestern doch entschlossener denn je, ihn aufzuhalten! Nachdem Will gesagt hatte, dass er mir von nun an helfen würde, hatte ich sogar irgendwie geglaubt, dass es einfach werden würde. Aber natürlich konnte Will nicht viel ausrichten, solange er nicht sprang. Oder?

Eine Weile lang wälzte ich mich in meinem Bett hin und her. Es war schon Mitternacht, als mir endlich klar wurde, was ich tun konnte. Frustriert stöhnte ich auf und schlug mir vor die Stirn. Die Lösung war so einfach, dass ich es nicht fassen konnte, dass ich nicht eher darauf gekommen war.

Ich schlüpfte in Jacke und Schuhe und schlich mich durch die Flure von Lennox House. Die Eingangstür knarrte leise, als ich sie einen Spaltbreit öffnete, um hinauszugelangen. Doch im Haus blieb alles still. Rasch durchquerte ich den Park, dessen geometrische Hecken mich schweigend beobachteten. Dann trat ich ins Moor hinaus.

Der Mond hing als schmale Sichel am Himmel und tauchte Büsche und Gräser in ein gespenstisches Schimmern. Die Nachtluft wehte kühl durch meine Gedanken und roch nach einer Mischung aus modrig feuchter Erde und dem Salz der See.



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