Der Steppenwolf by Hermann Hesse

Der Steppenwolf by Hermann Hesse

Autor:Hermann Hesse [Hesse, Hermann]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


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Ich hatte Wort für Wort ihrer unheiml ichen Rede deutlich gehört, hatte sogar ihren «letzten Befehl» erraten, noch ehe sie ihn aussprach, und war über das «Du

•wirst mich töten» nicht mehr erschrocken. Alles, was sie sagte, klang mir überzeugend und schicksalhaft, ich nahm es an und wehrte mich nicht dagegen, und doch war alles, trotz dem grauenhaften Ernst, mit dem sie gesprochen hatte, für mich ohne volle Wirklichkeit und Ernsthaftigkeit. Ein Teil meiner Seele sog ihre Worte auf und glaubte ihnen, ein andrer Teil meiner Seele nickte begütigend und nahm zur Kenntnis, daß also doch auch diese so kluge, gesunde und sichere Hermine ihre Phantasien und Dämmerzustände habe. Kaum war ihr letztes Wort gesprochen, so überzog eine Schicht von Unwirklichkeit und Unwirksamkeit die ganze Szene.

Immerhin konnte ich nicht mit derselben seiltänzerischen Leichtigkeit wie Hermine den Sprung ins Wahrscheinliche und Wirkliche zurück tun.

«Also ich werde dich einmal töten?» fragte ich, leise nachträumend, während sie schon wieder lachte und voll Eifer ihr Geflügel zerschnitt.

«Natürlich», nickte sie obenhin, «genug davon, es ist Essenszeit. Harry, sei nett und bestelle mir noch ein wenig grünen Salat! Hast du denn keinen Appetit?

Ich glaube, du mußt alles erst lernen, was sich bei andern Menschen von selber versteht, sogar die Freude am Essen. Also sieh, Kleiner, dies hier ist ein Entenbeinchen, und wenn man das helle hübsche Fleisch vom Knochen löst, dann ist das ein Fest, und es muß einem dabei gerade so appetitlich und spannend und dankbar ums Herz sein, wie einem Verliebten, wenn er seinem Mädchen zum erstenmal aus der Jacke hilft. Hast du verstanden? Nicht? Du bist ein Schaf.

Paß auf, ich gebe dir ein Stück von diesem schönen Entenbeinchen, du wirst sehen. So, mach den Mund auf! — Oh, was für ein Scheusal du bist! Jetzt hat er, weiß Gott, zu den andern Leuten hinübergeschielt, ob sie es nicht sehen, wenn er einen Bissen von meiner Gabel kriegt! Sei ohne Sorge, du verlorener Sohn, ich werde dir keine Schande machen. Aber wenn du zu deinem Vergnügen erst die Erlaubnis anderer Leute brauchst, dann bist du wirklich ein armer Tropf.»

Immer unwirklicher wurde die vorige Szene, immer unglaublicher, daß diese Augen noch vor Minuten so schwer und grauenvoll gestarrt hatten. Oh, darin war Hermine wie das Leben selbst: stets nur Augenblick, nie im voraus zu berechnen.



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