Tod in Breslau by Marek Krajewski

Tod in Breslau by Marek Krajewski

Autor:Marek Krajewski [Krajewski, Marek]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2006-08-12T09:47:35+00:00


Breslau, 10. Juli 1934.

Acht Uhr abends

Ein Schwall eiskalten Wassers brachte Anwaldt wieder zu

sich. Er saß, splitternackt an einen Stuhl gefesselt, in einer fensterlosen Zelle. Zwei Männer in schwarzen SS-Uniformen hatten ihn scharf ins Auge gefasst. Der klei-

nere verzog sein längliches, intelligentes Gesicht zu einem fratzenhaften Grinsen, und Anwaldt fühlte sich absurd-erweise an seinen Mathematiklehrer im Gymnasium er-

innert, der ähnliche Grimassen geschnitten hatte, wenn

einer der Schüler eine Aufgabe nicht lösen konnte. (Ich möchte Sie vor diesen Menschen warnen – sie sind für ihre Rücksichtslosigkeit bekannt und könnten sie jederzeit

zwingen, die begonnene Fahndung aufzugeben. Falls sie –

Gott behüte! – je in die Hände der Gestapo geraten sollten, behaupten sie mit aller Hartnäckigkeit, dass sie bei der Abwehr sind und in Breslau ein Netz des polnischen Geheimdienstes aufbauen wollen.)

Der Gestapo-Mann ging in der engen Zelle auf und ab.

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Es herrschte ein derart intensiver Schweißgeruch, dass

man die Luft hätte schneiden können.

»Schaut schlecht aus, hm?« Es schien, als wartete er auf

eine Antwort.

»Ja …«, keuchte Anwaldt. Seine Zunge stieß an die

scharfe Kante eines abgebrochenen Schneidezahns. »Alles

ist schlecht in dieser Stadt.«

Der Mann ging um den Stuhl herum. »Jaaa, Anwaldt.

Was willst du dann eigentlich hier … in diesem Babylon,

was hat dich hierher verschlagen?«

Er steckte sich eine Zigarette an und legte dem Gefan-

genen das brennende Streichholz sorgfältig auf den Schei-

tel. Anwaldt machte eine so heftige Bewegung, dass er samt Stuhl ins Schwanken geriet. Der Gestank nach verbrann-tem Haar nahm ihm fast den Atem. Der zweite Scherge,

ein schwitzender Dicker, warf Anwaldt einen feuchten

Fetzen über den Kopf, der das Feuer erstickte. Doch seine

Fürsorge war nicht von Dauer. Mit einer Hand hielt der

Dicke Anwaldt die Nase zu, während er ihm mit der ande-

ren den Fetzen in den Mund stopfte.

»Na, Berliner, was hast du hier in Breslau zu suchen?«,

fragte er mit gedämpfter Stimme.

»Es reicht Konrad.«

Als er von dem stinkenden Knebel befreit war, konnte

Anwaldt sich lange nicht von seinem Hustenanfall erho-

len. Geduldig wartete der schlanke Gestapo-Mann auf ei-

ne Antwort. Als er keine bekam, schaute er seinen Kum-

pan an.

»Herr Anwaldt will nicht antworten, Konrad. Man

kann ihm ansehen, dass er sich sicher fühlt. Er ist der An-183

sicht, dass er unter irgendeinem Schutz steht. Aber wer

schützt ihn?« Er streckte die Hände aus. »Vielleicht Kri-

minaldirektor Eberhard Mock? Aber Mock ist gerade

nicht hier. Kannst du Mock irgendwo sehen, Konrad?«

»Nein, Herr Standartenführer.«

Der Schlanke neigte den Kopf und bettelte:

»Ich weiß, ich weiß, Konrad. Deine Methoden sind

unvergleichlich. Kein Geheimnis bleibt im Dunkeln, kein

Name entschlüpft dem Gedächtnis, wenn du deine Pati-

enten verhörst. Aber dieses Mal, erlaubst du mir, dass ich diesen Patienten behandle? Darf ich?«

»Natürlich, Herr Standartenführer.«

Lächelnd verließ Konrad die Zelle. Der Standartenfüh-

rer öffnete eine abgewetzte Tasche und nahm eine Liter-

flasche und ein geschlossenes Einmachglas heraus. Den

Inhalt der Flasche – irgendeine Lösung – goss er Anwaldt

über den Kopf, und dieser spürte einen süßlichen Ge-

schmack auf der Zunge.

»Das ist Honigwasser, siehst du, Anwaldt?« Sein Peini-

ger griff nach dem Einmachglas. »Und weißt du, was das

ist? Neugierig, was? Warte nur, warte nur ein wenig …

gleich sag ich’s dir.« Er schüttelte das Glas einige Male.

Ein tiefes, wütendes Summen drang aus dem Behälter.

Anwaldt sah, wie zwei große Hornissen im Glas aufein-

ander losgingen und immer wieder an die Wände stie-

ßen.



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