Straßen aus Staub by Rosetta Loy

Straßen aus Staub by Rosetta Loy

Autor:Rosetta Loy
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper ebooks


Fünftes Kapitel

Braida

Für die Rosetta vom Fracin war der 48er-Krieg ein Segen. Wenn die Gebirgsjäger von Lamarmora nichts brauchten, dann die Fußsoldaten von Ramorino oder noch besser die Königliche Kavallerie; der Camurà kam gar nicht mehr nach mit dem Beschaffen von Stoffbahnen, so groß war der Verschleiß der Uniformen, der Brandschaden der Streifschüsse oder einfach die Abnutzung der Sättel. Aber vor allem die erhöhte Anzahl von Gebirgsjägern, Fußsoldaten und leichten Reitern.

Der Camurà konnte keine zwei Tage hintereinander zu Hause bleiben, und wenn er kam, mußte er die Rechnungen überprüfen und die Besuche derer empfangen, die schon beschlossen hatten, ihm seine Sünden zu vergeben. Beleibte Herren kommen, um mit ihm über Seidenspinnerei zu sprechen, andere wollen sein Interesse für Viehzucht wecken oder bitten um seine Beteiligung an der Restaurierung einer Kapelle; und alle bewundern die Kachelöfen, die laue Wärme in den Zimmern, die Eiche, die schöne Ehefrau. Dem Camurà schmeichelt ihr Interesse, und auch wenn er zuweilen ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden klopft, bleibt ihm wenig Zeit für seine Frau, und er kann ihr nicht zuviel Aufmerksamkeit widmen. Nicht versuchen, ihre Gedanken zu erraten, wissen, wo ihre Hoffnungen hingehen, wenn sie selbstvergessen aus dem Fenster blickt oder verträumt ins Nichts starrt.

Außerdem kommen ständig Truppen und Königliche Hoheiten mit ihrem Gefolge durch den Ort, reitende Boten, die so viel Staub aufwirbeln, daß sie die Straße vernebeln. Wagen aus dem Troß, Soldaten, die um etwas zu trinken bitten; wer soll da auf Gavriels Pferd aufmerksam werden, auf das Geräusch seiner Schritte nachts auf dem Kies? Was die Rosetta vom Fracin sich so lange gewünscht hat, was unmöglich zu sein schien, kann nun doch eintreten. Sie kann sagen: morgen, Mittwoch, Samstag. Sie und Gavriel eine ganze Nacht zusammen, sich lieben und schlafen, erwachen und sich lieben und dann wieder schlafen, und sich im Schlaf umdrehen und eine Hand, einen Arm, den Mund küssen. In dem großen Nußbaumbett vom Camurà geht die Zeit anders in der Nacht, ist unendlich lang und kurz, so kurz, daß sie fast nichts ist, und im ersten Licht der Morgenröte steht die Rosetta auf, um die Fensterläden ein wenig zu öffnen, und betrachtet Gavriels Lockenkopf auf dem Kissen, seinen im Schlaf entspannten Körper. Er zuckt zusammen, dieser Körper, wenn sie ihn berührt, erschrickt wie ein Tier, das in seiner Höhle überrascht wird, und sie lacht, ihr Mund ist leicht, nur gerade ein wenig kalt im Morgengrauen.

Die Maria hat recht, niemand kann auf Gavriel zählen, weil er bereit ist, für eine dieser Nächte seine Seele zu verkaufen. Er vergißt Pietro Giuseppe, das Land, die Mutter; und der Maria hämmert das Herz in der Brust, wenn sie ihn in der Dämmerung mit ungeduldigen Stiefeln auf den Backsteinen des Wegs hört, während seine Stimme dem Gerumin rasch ein paar Anweisungen gibt, die dieser nie ausführen wird, so klar ist es allen, daß Gavriel nichts mehr wichtig nimmt und seine Gedanken schon auf dem Pferd auf der großen Straße vorauseilen. In Gedanken ist er schon dort, in der Nacht, im Bett vom Camurà.



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