Spielende by Silke Nowak

Spielende by Silke Nowak

Autor:Silke Nowak [Nowak, Silke]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi
veröffentlicht: 2014-11-05T05:00:00+00:00


22 Iris

Iris starrte auf das Foto der beiden Brandleichen. Sie hielt es sich dicht vor die Augen. So nah, bis alles verschwamm. Es waren Melanie und Max, natürlich, sie war sich ganz sicher. Wer sollte es denn sonst sein?

„Es handelt sich um einen Säugling und um eine junge Frau“, hatte Dominik Neumann vorgestern zu ihr gesagt. Mehr wisse man noch nicht, hatte er hinzugefügt und sie dabei angesehen wie eine Verbrecherin. Iris hatte weggeblickt und er war gegangen. Einfach so, ohne ein weiteres Wort. Seitdem war er nicht wiedergekommen.

Wieder starrte sie auf das Foto. Zwei dunkle Krater. Ein verzogener Mund. Darüber Gewebe, das aussah wie ein verkohlter Lumpen. Man wollte sie nur schonen. Man dachte, sie sei verrückt. Aber man brauchte sie nicht mehr zu schonen. Nun, da ihre schlimmsten Ängste wahr geworden waren, hatte sie keine Angst mehr. Nicht mehr vor sich und nicht vor der Wahrheit. Nun, da ihr Leben hässlich und zerstört war, gab es nichts mehr zu beschönigen.

Ich muss darüber sprechen.

Sie musste endlich die Wahrheit sagen, auch wenn die jetzt nicht mehr viel wert war, nicht mehr als das Klagelied einer verirrten Seele, die um Vergebung bat.

Iris konnte nicht aufhören, das Bild anzustarren. Sie wusste, dass sie die Frau hätte sein müssen, die das Baby im Arm hielt, während es starb. Dann wäre sie jetzt tot.

Es klopfte. Clara trat ein.

„Danke, dass du so schnell gekommen bist.“

Clara nickte bloß. Abwartend blieb sie stehen. Iris richtete sich im Krankenbett auf, sie wollte Clara die Hand geben, um ihr zu zeigen, wie froh sie war, sie zu sehen, doch dann glitt das Foto zu Boden. Clara bückte sich, um es aufzuheben, doch als sie sich wieder aufrichtete, stand Panik in ihren Augen. Panik und Abscheu.

„Es tut mir so leid“, stammelte Clara und legte das Foto auf den Nachttisch. Mit der Bildseite nach unten.

„Es ist besser so“, flüsterte Iris.

„Besser so?“

Iris musste jetzt weitersprechen: „Du hast doch gesagt“, sie räusperte sich, „du würdest mir zuhören, wenn ich soweit bin.“

Clara nickte, aber ihr Blick war anders als sonst. Warum setzte sie sich nicht auf den Stuhl? Warum blieb sie vor dem Bett stehen?

„Aber Clara“, schickte Iris voraus. „Bitte verzeih mir.“

„Wofür?“

„Ich kann keine Rücksicht mehr nehmen. Ich muss die Wahrheit sagen.“

„Die Wahrheit ist gut.“

„Manchmal ist sie böse.“

Iris fuhr sich über den Kopf und spürte den Schorf, der sich unter den nachwachsenden Haaren bildete. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, daran zu kratzen. Flüchtig sah sie in die dunklen Augen ihrer Freundin. Ihrer Freundin? Sollte sie nicht doch besser mit der Ärztin sprechen?

Sag es. Du musst darüber reden.

Iris nahm ihre Hand vom Kopf. Was hatte sie noch zu verlieren? Sie war durch die Hölle gegangen, sie war in der Psychiatrie und sie würden sie ins Gefängnis sperren.

„Seit der Geburt von Max“, sagte sie schließlich, „leide ich unter einer schweren ...“

„Depression?“

„Nein.“ Obwohl sie nichts mehr zu verlieren hatte, wehrte sich ihr Körper noch immer gegen das Wort. „Im Grunde ist es keine Depression“, sagte sie.

„Sondern?“ Clara setzte sich auf den Stuhl.

„Eine Zwangsstörung.“ Iris schloss nur kurz die Augen.



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