Sommer der Entscheidungen by Lise Gast
Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-05T00:00:00+00:00
* * *
„Ja?“ fragte Kläri und richtete sich auf. Sie tastete nach der Taschenlampe, die sie vorsichtshalber mit ins Bett genommen hatte. Vielleicht fand sie, verschlafen, den Schalter nicht sofort. Sie knipste an. Baldur hatte gerufen. Sie war sofort bei ihm. Er hatte geträumt, schlang seine schlafwarmen Ärmchen um ihren Hals und drückte sich an sie. Sie murmelte ein paar beruhigende Worte. Ach, war das schön, das Kind so nahe zu fühlen, so geborgen bei sich.
Es ist schön, selber geborgen zu sein. Bei Vati war man es, er hatte eine wundervolle Art, einen in den Arm zu nehmen, wenn etwas schiefgegangen oder man traurig oder geängstigt war. Kläri hatte das oft empfunden. Jetzt empfand sie, wieviel tausendmal schöner es ist, Geborgenheit zu spenden, einem kleinen, verängstigten Wesen das zu sein, wonach es verlangte: ein Schutz gegen böse Träume, Angst, Kälte und Einsamkeit.
„Kleiner, kleiner Baldur“, murmelte sie und wiegte ihn ein wenig hin und her. Er schlief schon wieder. Sie legte ihn sorgsam in seiner eigenen Schlafkoje zurecht und krabbelte wieder hinauf in die ihre.
Sie hatte kein bißchen Angst, hier zu sein. Eigentlich, zuerst, als sie mit Reinhards darüber gesprochen hatte, war sie ein wenig ängstlich gewesen. Sie hatte gedacht, es wäre doch in einer Art etwas anderes als im Zelt. Im Zelt wird man nicht überfallen, noch dazu auf solch einem Zeltplatz, wo ringsum die kleinen spitzen Leinwandhäuschen stehen. Niemand vermutet Kostbarkeiten bei Zeltlern. Außerdem waren Leo und Marlis dabei, später auf jeden Fall Marlis. Aber jetzt hatte sie gar keine Angst mehr. Natürlich konnte man den Wohnwagen von innen abschließen, aber das sagte nicht viel. Jedoch Angst hatte sie nicht mehr.
Es war so hübsch mit den Kindern, wenn man sie ganz hatte. Kläri, als die jüngste von vier Schwestern, hatte noch nie erlebt, wie es ist, kleine Kinder ganz zu betreuen. Sie hatte mit Nachbarskindern gespielt, für sie gebastelt und Puppenkleider genäht, aber ganz gehabt hatte sie sie noch nie. Sie freute sich rasend, wenn sie sich vorstellte, daß Suse vielleicht nächstes Jahr ein Baby haben würde. Das durfte sie dann sicher versorgen. Aber das waren ja erst Zukunftsträume.
Sie lag und konnte nicht wieder einschlafen, während sie über dies alles nachdachte. Vielleicht blieb Herr Reinhard recht lange weg, nicht nur diesen einen Tag. Sie konnte es sich zwar nicht vorstellen, aber es wäre eigentlich wunderbar. Vielleicht aber kam er wieder und hatte sich überlegt, daß er auch ohne seine Frau noch ein bißchen hierbleiben konnte, wo er sie doch nun hatte! Sie konnte ja dann wieder gut im Zelt schlafen – schade war das natürlich, aber immer noch besser, als wenn die Kinder fortmüßten – und er im Wagen. Nachts mußte er sich dann eben kümmern, aber das tat er bestimmt. Sie konnte die Kinder dann tagsüber versorgen und ihn auch mit, jedenfalls ihm das kochen, was nötig war. Ob sie ihm das vorschlagen sollte? Ach, sie war so schüchtern, sie brachte es sicher nicht fertig. Aber vielleicht kam er von selbst darauf. Das wäre wunderbar.
Kläri meinte, sie habe noch nie so schöne Ferien verlebt.
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