Sind Tote immer leichenblass?: Die größten Irrtümer über die Rechtsmedizin by Michael Tsokos

Sind Tote immer leichenblass?: Die größten Irrtümer über die Rechtsmedizin by Michael Tsokos

Autor:Michael Tsokos
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Tags: Applied Psychology, Psychology
ISBN: 9783426438756
Herausgeber: Droemer eBook
veröffentlicht: 2016-09-25T22:00:00+00:00


Irrtum Nr. 16

Rechtsmediziner sind chronisch schlecht gelaunte Zyniker

Rechtsmediziner sind in Fernsehkrimis meist extrem genervt, wenn ermittelnde Kommissare mit Nachfragen zu einem Fall an sie herantreten. Und sehr gerne werden sie auch als schlecht gelaunte Zyniker porträtiert, die mit sich und ihren Mitmenschen nicht klarkommen.

Ich gebe zu, einige der Rechtsmediziner, die ich kenne, sind schon etwas spezielle Zeitgenossen – sowohl Kollegen in unserem Institut als auch im In- und Ausland, mit denen ich auf wissenschaftlichen Tagungen und Kongressen oder bezüglich gemeinsamer Gutachten in Kontakt stehe. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass sie absolute Sonderlinge und nonkonforme Eigenbrötler sind; aber einige wirken auf mich schon etwas kauzig und haben so ihre Marotten. Ich will Ihnen da mal ein paar Beispiele nennen.

Ein Kollege von mir in Nordrhein-Westfalen, mit dem ich befreundet bin und den ich deshalb schon des Öfteren zu Hause besucht habe, ist Modellbahner (das ist der Fachbegriff für das, was Laien wie ich als Modelleisenbahn-Fan bezeichnen würden). Er hat in seinem riesigen Keller Hunderte Streckenmeter Schienen verlegt und in mehreren Jahrzehnten eine phantastische Modelleisenbahnanlage mit umgebenden Landschaften geschaffen. Nichts Besonderes, sagen Sie? Doch, durchaus. Denn das, was er dort aufgebaut hat, sind Szenarien von Massenkatastrophen, Zugunglücke mit vielen Toten, Verletzten, Vermissten, Bergungsteams – und mittendrin Rechtsmediziner, die die Opfer identifizieren.

Eine mir sehr gut bekannte Präparatorin interessiert sich besonders für Gallensteine und hat in nahezu zwei Jahrzehnten die weltweit größte diesbezügliche Sammlung angelegt. Ein Sektionsassistent, mit dem ich vor 20 Jahren mal kurze Zeit zusammenarbeitete, präparierte nicht nur Jagdtrophäen. Ich verschaffte ihm den Kontakt zu Mitarbeitern des städtischen Veterinäramtes, die ihn dann kurze Zeit mit toten Hunden zum Präparieren versorgten. Ich werde nie den Anblick des riesigen Rottweilerkopfes vergessen, der mich eines Morgens im Institut von einem geschnitzten Holzbrett anstarrte. Der Kollege hatte den Hundekopf kurzerhand wie den Kopf eines Elches oder Keilers präpariert und drapiert, wie man es aus Jagdtrophäensammlungen kennt.



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