Schwimmen mit Elefanten - Roman by Ogawa Yokko

Schwimmen mit Elefanten - Roman by Ogawa Yokko

Autor:Ogawa, Yokko [Ogawa, Yokko]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2009-01-29T23:00:00+00:00


10

Als der Junge an einem regnerischen Abend die schleppenden Schritte auf der Treppe hörte, befiel ihn eine böse Vorahnung. Der Mann, der den Klub am Grunde des Meeres betrat, zog das linke Bein nach. Er war so unheimlich, dass der Junge sich am liebsten versteckt hätte. Inständig hoffte er, der Mann möge eine der Kabinen betreten, in denen Blind- oder Simultanschach gespielt wurde. Woher diese Vorahnung kam, wusste er selbst nicht, denn normalerweise lernte er andere Schachspieler ja erst kennen, wenn er gegen sie antrat, um mit ihnen gemeinsam ein Kunstwerk zu schaffen.

Aber diese Schritte hatten einen unheilvollen Klang. Sie ließen einem das Blut in den Adern gefrieren. Doch sosehr sich der Junge auch wünschte, sie mögen an seiner Tür vorübergehen, er konnte ihnen nicht entkommen. Wie eine Schachfigur, die zielstrebig auf das Feld zusteuert, auf dem der gegnerische König steht, um diesen matt zu setzen, stoppte das Schlurfen genau vor der ehemaligen Damendusche.

Obwohl im Untergeschoss normalerweise kein Regen zu hören war, meinte der Junge ein prasselndes Geräusch wahrzunehmen, und ein eisiger Nachthauch zog über den gefliesten Boden, als der Mann den Raum betrat. Bevor er sich an den Schachtisch setzte, stürzte der Eindringling ein Glas Whisky hinunter. Der Junge konnte das Klirren der Eiswürfel deutlich hören. Der Mann schien betrunken zu sein.

»Herzlich willkommen. Vor der Partie möchte ich Sie darauf hinweisen, dass …«

»Hör auf zu quatschen, Schätzchen. Lass uns anfangen«, dröhnte der Mann und winkte ab, als Miira wie üblich die Klappe öffnen wollte, um das Innenleben des Kleinen Aljechin zu zeigen. Es war das erste Mal, dass ein Gegner nichts davon wissen wollte.

Der Mann spielte ausgesprochen gut, er war zweifellos der stärkste Spieler, gegen den der Junge jemals angetreten war. Die Art, wie er nach einer präzisen Eröffnung ein fulminantes Mittelspiel aufzog, erinnerte den Jungen an die berühmten Großmeister aus dem Buch, das er sich damals von seinem Meister geliehen hatte. Es war wie eine Drohung, die dem Gegner das Fürchten lehrte. In welche Höhen er sich noch aufschwingen würde, wenn es nötig war. Verteidigung und Angriff, Rückzug und Vormarsch, Eingebung und Logik, Sorgfalt und ungestüme Gewalt, Toleranz und Zurückweisung, Ausdauer und Einfallsreichtum – all diese widersprüchlichen Aspekte vereinte er in seinem harmonischen, ungeheuer kraftvollen Spiel, mit dem er seinen Gegner permanent unter Druck setzte. Der Kleine Aljechin war wie gelähmt.

Jedoch hinterließen die Züge des Mannes jedes Mal einen bitteren Nachgeschmack. Als wäre es völlig aussichtslos, überhaupt gegen ihn gewinnen zu können. Zuerst hielt der Kleine Aljechin das für eine Einbildung, aber dann, als der Mann mit Zügen wie Td8 oder Lf6 eine Linie zog, die dem Strahlenbündel eines Suchscheinwerfers glich, und gleichzeitig im Zentrum eine Art Festung errichtete, bestätigte sich sein anfänglicher Eindruck. Ungeachtet seiner grandiosen Züge wirkte der Mann unzufrieden. Nach jedem Zug nahm er einen Schluck Whisky und drosch mit der geschlagenen Figur auf den Knopf der Schachuhr. Seine Gereiztheit hatte nichts Oberflächliches, sondern schien aus seinem tiefsten Inneren zu kommen. Normalerweise wurden solch wundervolle Züge mit einem göttlichen Lächeln belohnt. Dem Mann war dies nicht beschieden.



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