Schattenauge by Blazon Nina

Schattenauge by Blazon Nina

Autor:Blazon, Nina [Blazon]
Format: epub, mobi
Herausgeber: Ravensburger Buchverlag
veröffentlicht: 2010-01-19T05:00:00+00:00


Kemal

Sie hatte von der Brücke geträumt. Und von Gils Gesicht. Doch jedes Mal, wenn sie es genauer betrachten wollte, verschwamm es und ein anderes Gesicht tauchte auf: gelbe Augen, ganz nah. Wie in einer Zeitlupenaufnahme sah sie, wie der Mann mit dem Button vor dem Club Cinema auf sie zurannte. Und die andere Gestalt, viel zu nah. Pupillen, die sich im Licht einer Taschenlampe (wo war eine Taschenlampe gewesen?) zu Schlitzen zusammenzogen. Ein Fauchen, ein Knurren und ein stechender Geruch…

Das kann nicht sein, wiederholte sie wie eine Beschwörung. Das bin nicht ich und das passiert nicht mir. Es ist alles ein schlimmer Traum. Ein Irrtum.

Ihre Augen brannten, als sie blinzelte. Morgenlicht. Baulärm und das Heulen des Windes von draußen. Beim Blick auf die Uhr erschrak sie. 9.12Uhr! Wie war es möglich, dass sie den Wecker überhört hatte? Aber dann fiel es ihr wieder ein – sie hatte ihn gestern überhaupt nicht gestellt. Sie war einfach nur zum Bett gestolpert und hatte sich unter der Decke verkrochen. Und nun, wenige Stunden später, kam ihr alles in ihrem vertrauten Leben unwirklich vor. Als sei das alles hier ein Traum: das Zimmer, die Uhr, deren Sekundenzeichen ruhig weiterblinkten, als wäre Zoës Welt gestern Nacht nicht einfach so aus den Angeln gerutscht. Ihr Kopf war ein einziges glühendes Pochen und durch ihre Knochen rieselten Kälte und Hitze. Schüttelfrost und Zähneklappern.

Draußen brachte der Wind die Planen am Baustellenzaun zum Knattern. Zoë hörte es trotz der geschlossenen Fenster, ebenso wie das Husten in der Wohnung unter ihr und das Gurgeln des Wassers in den Rohren.

Hastig zog sie sich die Decke über den Kopf und drückte ihr Gesicht ins Kissen.

Langsam trieben auch wieder Erinnerungsfetzen durch ihr Bewusstsein: Sie hatten sie vor der Tür abgesetzt: Gil und dieser komisch gekleidete Typ mit Brille. Dann war sie die Treppen hochgestolpert – den kalten Stein unter ihren bloßen Füßen. Das schwache Licht der Schalter hatte genügt, dass sie die Treppen erkennen konnte. Sie hatte Glück gehabt: Die Tür zum Wohnzimmer, das sich nachts in das Schlafzimmer ihrer Mutter verwandelte, war geschlossen gewesen. Aber ihre Mutter musste wirklich sauer gewesen sein: Kalter Zigarettenrauch stand in der Wohnung. Bei der Erinnerung an den Gestank schnürte es Zoë wieder die Kehle zu.

Sie stöhnte und richtete sich mühsam im Bett auf. Schmerz zuckte durch ihren Arm und ihre Schulter. Jeder noch so kleine Muskel schien gezerrt zu sein. Ihre Hände waren aufgeschürft, und als sie die Bettdecke wegschob, sah sie, dass sie tatsächlich einfach in ihren Kleidern ins Bett gekrochen war. Sie trug immer noch das Top und die Hose (Rostspuren, Staub und Schmutz). Ihre Füße waren schwarz von der Straße und von der Kletterpartie auf der Brücke aufgeschürft.

Auf dem Weg zum Bad musste sie sich an der Wand abstützen. Schwindelig vor Fieber zog sie sich aus, duschte und trank das Wasser direkt aus der Brause. In der Küche fand sie heute keinen Zettel von ihrer Mutter. Offenbar war sie für ihre Frühschicht im Krankenhaus schon spät dran gewesen: Ihre Kaffeetasse war nicht weggeräumt und sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, den Aschenbecher zu leeren.



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