Schandfleck by Seibold Jürgen

Schandfleck by Seibold Jürgen

Autor:Seibold, Jürgen
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492975520
Herausgeber: Piper Verlag GmbH
veröffentlicht: 2016-11-29T08:55:37+00:00


Dienstag, 25. Juli

»Maximilian, auf geht’s! Wir sind spät dran!«

Sandra Röhrich stöckelte mit wehendem Blazer durch den Flur, blieb vor dem Spiegel kurz stehen und zog sich die Lippen nach. Dann griff sie sich den Schlüssel und wandte sich zur Tür. Draußen schien die Sonne, es würde wieder ein warmer Tag werden, aber noch war es angenehm frisch, und eine leichte Brise strich über ihre Haut.

Im Haus schräg gegenüber schwang ebenfalls die Tür auf, und Doris Hack kam heraus. Sie hatte den Blick gesenkt, zog die Tür hinter sich zu, nestelte ihren Schlüssel heraus und drehte ihn zweimal im Schloss. Dann steuerte sie auf die Garage zu, dabei streifte ihr Blick kurz die Nachbarin. Sandra Röhrich hob die Hand zum Gruß und lächelte der anderen zu. Doris Hack erwiderte die Geste mit einem Kopfnicken, dann betrat sie die Garage.

Wenig später lenkte Doris Hack ihr kleines Cabrio rückwärts aus der Garage. In elegantem Schwung rollte es auf die Straße heraus. Während Doris Hack den Flitzer zum Stehen brachte und den ersten Gang einlegte, dachte Sandra Röhrich, dass die Nachbarin durchaus freundlicher zu ihr sein könnte. Schließlich hatte sie ihr als ihrer Scheidungsanwältin nicht nur das Haus und auskömmliche Unterhaltszahlungen, sondern letztendlich auch das Cabrio zu verdanken.

Als könne sie ihre Gedanken lesen, warf Doris Hack ihrer Nachbarin noch einen genervten Blick zu. Dann weiteten sich ihre Augen, und die Dinge überschlugen sich.

Sandra Röhrich hatte inzwischen fast ihren Wagen erreicht, der unter dem Carport im Vorgarten geparkt war. Plötzlich spürte sie einen Stoß zwischen den Schulterblättern, dann hörte sie ein Geräusch, als würde eine sehr reife und sehr wässrige Frucht zerplatzen. In der getönten Seitenscheibe sah sie ihr Spiegelbild: Über ihren Schultern breiteten sich Farbkleckse aus.

Doris Hack ließ die Kupplung so ruppig kommen, dass sie den Motor abwürgte. Maximilian, der gerade mit zerzausten Haaren, heraushängendem Hemd, ungebundenen Turnschuhen und dem halb über die Schultern geworfenen Schulranzen aus der Tür trat, blieb wie vom Donner gerührt stehen. Ein, zwei Augenblicke lang stand er wie erstarrt da, dann ließ er den Ranzen fallen und rannte los.

Sandra Röhrich stand neben ihrem Auto, leicht vornübergebeugt, und wusste nicht recht, wohin mit ihren Händen und mit ihrer Wut und ihrer … ja, ihrer Angst.

Maximilians Fragen, ob es ihr gut gehe und was denn los sei, hörte sie kaum durch das Brausen in ihrem Kopf. Und auch die Tatsache, dass Doris Hack ausgestiegen und ebenfalls zu ihr geeilt war, konnte sie nicht trösten. Sie fühlte sich beschämt, bestürmt, unter Druck gesetzt. Sie wollte die Nachbarin und den Sohn mit fahrigen Armbewegungen zum Schweigen bringen, doch beide plapperten einfach weiter. Da drehte sie sich um, rempelte Maximilian im Vorübergehen an und hielt auf die Haustür zu, die inzwischen krachend ins Schloss gefallen war. Vor der Tür blieb sie stehen und machte keine Anstalten, ihren Schlüssel hervorzuholen. Zwei Minuten, vielleicht drei, blieb sie stehen, dann kam endlich Maximilian, nahm seinen eigenen Schlüssel zur Hand und ließ die Mutter ins Haus.

Doris Hack drückte sich an dem Buben vorbei in den Flur und ging Sandra hinterher, bis sie sie wie ein Häuflein Elend am Küchentisch hocken sah.



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