Satinavs Auge by Tobias Radloff

Satinavs Auge by Tobias Radloff

Autor:Tobias Radloff [Radloff, Tobias]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: DSA, Aventurien, Das schwarze Auge
Herausgeber: Ulisses Spiele GmbH
veröffentlicht: 2016-01-05T16:00:00+00:00


Shafirs Schlund

Heute Morgen hatte sie noch gelobt, Anconio eine Tracht Prügel zu verabreichen, wenn er das nächste Mal ihren Weg kreuzte. Doch als Silvanessa den jungen Zauberer plötzlich die Treppe des Kaiserkellers herunterkommen sah, schob sie ihren Stuhl in den Schatten eines Gewölbepfeilers, um nicht entdeckt zu werden. Sie war nicht in der Stimmung, sich zu streiten. Nicht einmal die Ironie dieses Gedankens genügte, um ihre düstere Stimmung aufzuhellen. Als sie einen Schluck Wein nehmen wollte, stellte sie fest, dass ihr Kelch leer war. Mit einem unterdrückten Fluch stellte sie den Pokal auf den Tisch und stieß dabei ihren Waffengurt um, den sie beim Hinsetzen an den Tisch gelehnt hatte. Die metallene Schließe landete klirrend auf dem Steinboden. Erschrocken zog Silvanessa den Schwertgurt mit den Füßen zu sich heran. Jeden Augenblick erwartete sie, dass Anconio ihren Namen rief.

Doch Anconio hatte sie nicht bemerkt, sondern näherte sich vorsichtig dem Stammtisch des Ersten Banners. Er war unschwer als solcher zu erkennen: Das grüne Tischtuch zeigte den goldenen Adler, das Emblem der Horasgarde, und an der Wand dahinter erinnerten berühmte Klingen und Orden an Palastgardisten aus früheren Zeiten. Von der Decke hingen die drei gekreuzten Degen, das Zeichen des Ersten Banners, als großer Wimpel herab. Ein Trauerflor war daran befestigt. Und neben der Eichentafel ruhte die Triumphkugel, ein dicker Klumpen aus scharlachroten und purpurnen Stofffetzen. Für jeden Ordensmann, den ein Palastgardist besiegte, kam ein Flicken hinzu. Die Triumphkugel war erst wenige Jahre alt, aber schon so schwer, dass Silvanessa sie nicht alleine tragen konnte.

Ein paar Sergeanten und Ensignios des Ersten saßen am Stammtisch und vertrieben sich den Abend mit Boltanspiel und Wein. Sie hatten Silvanessa zu sich gewunken, als sie eintrat. Zu jeder anderen Gelegenheit hätte sie die Ehre, mit der Palastgarde feiern zu dürfen, dankend angenommen, doch heute hatte sie sich einen eigenen Tisch gesucht. Ihr war nicht nach Gesellschaft. Auch Anconio sollte sie einfach nur in Ruhe lassen.

Mit seiner Robe stach er in der Gardeschenke hervor wie eine kahle Stelle auf einem Lockenkopf. »Was glotzt‘n so, Zauberknirps?«, raunzte ihn einer der Offiziere an.

»Ist wohl auf der Suche nach ‚ner richtigen Frau«, spottete eine Gardistin. Silvanessa kannte sie, sie hieß Dylla oder so ähnlich.

»Oder nach ‚nem echten Kerl!«, prustete Cosseo, ein hünenhafter Ensignio von den Zyklopeninseln. »Willst du meinen Zauberstab sehen, Kleiner?« Er nestelte an seinem Gürtel und erntete dröhnendes Gelächter.

»Ich … äh«, druckste Anconio.

»Ein Dukat, dass der Knabe noch Jungfrau ist.« Dylla knallte eine Münze auf den Tisch.

»Gilt!«

Cosseo warf sein Goldstück dazu und erhob sich. Anconio reichte ihm ungefähr bis zur Brust. Der Hüne legte schwer den Arm um seine Schultern.

»So, Kleiner, jetzt erzähl‘ mal von deinen Eroberungen. Und enttäusch mich nicht, hörst du?«

Der Zauberlehrling entwand sich dem Griff des Palastgardisten und ergriff die Flucht. Von donnerndem Gelächter begleitet rannte er die Treppe hinauf und suchte das Weite.

»Und wer hat die Wette nun gewonnen?«, rief jemand.

»Die Garde!«, dröhnte Cosseo. »Heda, Wirt, schenk allen Horasblauen nach, bis zwei Goldstücke voll sind!«

Silvanessa fiel nicht in den aufbrandenden Jubel ein. Sie bedauerte Anconio zwar kein bisschen; er hatte ein paar raue Scherze wahrlich verdient.



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