Sarrazins Correctness by Andreas Kemper

Sarrazins Correctness by Andreas Kemper

Autor:Andreas Kemper [Kemper, Andreas]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Unrast Verlag
veröffentlicht: 2014-10-04T22:00:00+00:00


Von ›Underklass‹ zu ›Underclass‹?

Martin Kronauer hatte in seinem Buch Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hochentwickelten Kapitalismus die These vertreten, dass der Underclass-Begriff »seinem Ursprung nach der europäischen wohlfahrtsstaatlichen Tradition verpflichtet« sei (Kronauer 2010: 53). Dies gelte auch für die Vereinigten Staaten, wo Gunnar Myrdal diesen Begriff eingeführt habe: »Es ist bezeichnend, dass diese scheinbar ›amerikanischste‹ aller Kategorien, in denen der Ausgrenzungsgedanke derzeit erörtert wird, von einem Europäer und dazu noch entschiedenen Verfechter des europäischen Wohlfahrtsstaats, dem Schweden Gunnar Myrdal, erst in den frühen 1960er Jahren in die amerikanische Sprache eingeführt wurde« (Kronauer 2010: 53). Auch David Theo Goldberg vertritt diese These zumindest für die sozialwissenschaftliche Literatur und behauptet, dass Myrdal bereits in The American Dilemma von 1944 den Begriff Underclass benutzte. Eine Durchsicht ergab, dass Myrdal in The American Dilemma nur den Begriff ›Lower Class‹, keinesfalls aber den Begriff ›Underclass‹ erwähnte – und beim Begriff ›Lower Class‹ bezog er sich auf Warner/ Lunt, The Social Life of a Modern Community von 1941. ›Lower Class‹ als Begriff des Schichtmodells war in der sozialwissenschaftlichen Literatur auch in den Vereinigten Staaten also sehr viel früher eingeführt. Allerdings dürfen die Begriffe ›Lower Class‹ und ›Underclass‹ nicht gleichgesetzt werden. ›Low‹ meint soviel wie ›niedrig‹. Es handelt sich auch um einen problematischen Vertikalismus, da ›low‹ auch soviel wie ›ordinär‹ heißt. Es geht uns hier aber nicht einfach um einen verwandten Vertikalismus, da Unterklasse substantiviert ist, niedrig(e)re Klasse/ untere Klasse hingegen nur attributiert.

Auch Übersetzungen von ›Lower Class Groups‹ mit ›Unterklasse‹, wie sie sich im Sammelband Gunnar Myrdal: Das Wertproblem in der Sozialwissenschaft aus der Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung von 1965 findet52, sind problematisch. Myrdal hat anscheinend in den Vereinigten Staaten erst 1965 den Begriff ›Underclass‹ benutzt, er bezog sich danach, laut Kronauer auf den schwedischen Literaten August Strindberg, der bereits im 19. Jahrhundert den schwedischen Begriff ›Underklass‹ gebrauchte, um damit die schwedische Arbeiterklasse zu bezeichnen (Kronauer 2010: 54; siehe auch Strindberg 1970: 84ff). Gunnar Myrdal habe mit der Einführung seines Begriffs die Bedeutung verschoben. Er spreche von »an ›underclass‹ of more permanently unemployed, employables, and underemployed« (Myrdal 1965b: 23; zit. n. Kronauer 2010: 54). Tatsächlich hat August Strindberg nicht als einziger den Begriff ›Underclass‹ benutzt. Dies dürfte Gunnar Myrdal bekannt gewesen sein, da er häufiger für die sozialdemokratische Zeitschrift Tiden Artikel verfasste (und dort schon 1931 den Begriff ›Underklass‹ benutzte), in der es bereits 1928 einen Artikel zur Herkunft der schwedischen Begriffe ›Underklass‹ (^Unterklasse^) und ›Överklass‹ (^Oberklasse^) gegeben hatte. G. H:son Holmberg untersuchte 1928 die Herkunft der schwedischen Begriffs und kam zum Schluss, dass nicht August Strindberg, sondern Nils Hermann Quiding (Pseudonyme: Nils Nilsson, arbetskarl) die Begriffe systematisch eingeführt habe (Holmberg 1928). Quiding habe damit die Teilung der Gesellschaft benennen wollen, ohne auf die veralteten Begriffe einer mit einem Rechtssystem versehenen Herren-Klasse und einer entrechteten Sklavenklasse zurückgreifen zu müssen (Holmberg 1928: 77). Auch wurde in den 1920er Jahren in Schweden eine Klassentheorie vertreten, die den Begriff ›Underklass‹ historisch für die von den Wikingern niedergeworfenen Gruppen benutzte und essenziell unterschiedliche Klassenpsychen unterstellte. Der schwedische Soziologe Pontus E.



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