Sandor Marai by Die Fremde

Sandor Marai by Die Fremde

Autor:Die Fremde [Die Fremde]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Ein Lügner

Später beteuerte der Portier heftig, es sei bereits nach fünf Uhr gewesen, als Askenasi das Hotel verließ. Er behauptete entschieden, daß der fremde Herr ihm »noch Bescheid gesagt« habe, sie hätten kurz miteinander gesprochen, der Gast habe sich entfernt, um im Reisebüro die Schlafwagenfahrkarte zu lösen. Askenasi erinnerte sich nicht an dieses Gespräch. Der Porzellanfabrikant, der am Nachmittag auf der Terrasse Karten spielte, begegnete dem Fremden viel später, nach Sonnenuntergang beim Hoteleingang, und es fiel ihm dessen »seltsames Benehmen und aufgeregtes Gehabe« auf. Er habe schon lange nicht mehr einen so aufgeregten Menschen gesehen, sagte er; ebendeswegen habe er ihn gründlich in Augenschein genommen, ihm nachgesehen und den Kopf geschüttelt, denn der Fremde sei mit »fluchtartigen Schritten« und mit einem großen Gepäckstück in der Hand Richtung Stadt geeilt.

Vergebens erklärte Askenasi, daß er sich im Zimmer zweiundvierzig nur kurze Zeit aufgehalten habe, vielleicht acht oder zehn Minuten, dann sei er in das obere Stockwerk zurückgegangen und habe sich im Zimmer umgesehen, doch auch dort sei er nur kurz geblieben und habe das Hotel bereits einige Minuten vor vier verlassen, und zwar ohne irgendein Gepäckstück, und der Portier habe ihn gar nicht gesehen.

Er verstand die überflüssigen Fragen nicht, verstand nicht, warum sie ihn drängten, »alles zu gestehen«, warum sie neugierig auf jede Minute waren, wo er doch das Wesentliche bereits gesagt hatte? Doch sie fuhren ihm über den Mund, wenn er davon anfing. Seinem Geständnis schenkten sie nicht viel Beachtung; die erste Untersuchung wurde von einheimischen Gendarmen geführt, die sich, wie in solchen seltenen Fällen üblich, um jeden Preis auszuzeichnen gedachten, sie nahmen jede Läpperei zu Protokoll und glaubten selbstverständlich jedermann eher als Askenasi.

Alle machten sich wichtig, schwatzten, jeder wußte über die Einzelheiten genauer Bescheid, und von dieser großen und entbehrlichen Beflissenheit fühlte sich Askenasi schließlich gekränkt und schwieg trotzig.

Bitte, dachte er, wenn ihr alles besser wißt ... Und er war pikiert. Die Glaubwürdigkeit seines Geständnisses wurde auch dadurch gemindert, daß er »vom Schauplatz der Tat geflohen war« – so feierlich drückte sich der Polizeioffizier aus, der die Untersuchung leitete –, man habe ihn regelrecht verfolgen müssen, er sei »auf der Flucht« ergriffen worden.

Das Protokoll wurde noch mit vielen derart ungerechten und überflüssigen Einzelheiten ausgeschmückt, was Askenasi die Laune schließlich völlig verdarb, er gab wortkarge Antworten und verstummte letztlich ganz. Auch das Gepäckstück, das der Porzellanfabrikant bei Askenasi gesehen haben wollte, wurde ins Protokoll genommen – niemand hatte eine Ahnung, auch später nicht, was sich darin befunden haben und was er damit gemacht haben könnte –, und auch den aufgeregten Worten des Portiers schenkte man Glauben, der schwor, er habe noch gegen fünf mit Askenasi gesprochen und es sei ihm aufgefallen, wie »ruhig, fast gut gelaunt« er gewesen sei. (Die Gendarmen nahmen auch Askenasis Ruhe und gute Laune mit Mißbilligung zur Kenntnis, als Zeichen besonderer Grausamkeit und Verworfenheit.)

Der Porzellanfabrikant sah es anders: Seiner Beobachtung nach hatte sich Askenasi »seltsam und aufgeregt« benommen. Überhaupt wurde jeder vernommen, der sich meldete und »etwas bemerkt« hatte – denn überraschenderweise stellte sich plötzlich heraus, daß



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