Roman by Barbara Baraldi

Roman by Barbara Baraldi

Autor:Barbara Baraldi
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Jugend
Herausgeber: Lübbe Digital
veröffentlicht: 2011-10-06T22:00:00+00:00


40

Ich bin mir gar nicht sicher, was ich wirklich gesehen habe. Kann ich meinen Erinnerungen trauen? Ich sehe Edoardos Hand verdreht auf dem Boden liegen, die verschrumpelte Haut, als hätte ihm jemand das Leben ausgesaugt. Als wäre er um hundert Jahre gealtert. Wie kann man so etwas mit einem Menschen machen?

Ich bin im Schulhof. Mit gesenktem Blick laufe ich durch das typisch fröhliche Stimmengewirr der Schüler zu Unterrichtsschluss.

»Hallo, Scarlett.« Es ist Umberto.

Nicht jetzt, denke ich. Aber es ist zu spät, er hat mich schon gesehen.

»Hallo«, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln.

»Wie geht es dir?«

»Mir ging’s schon mal besser.«

So schnippisch wollte ich gar nicht rüberkommen, aber ich habe keine Lust auf große Erklärungen. Alle fragen mich, wie es mir geht. »Wie soll es mir schon gehen?«, würde ich am liebsten schreien. Mein bester Freund ist gerade gestorben, ich habe seine Leiche gesehen, und die Polizei tappt über die Motive seines Ablebens völlig im Dunkeln. Lorenzo sagt, in den Nachrichten hätte man dementiert, dass es sich um Mord handelt. Jetzt heißt es, er sei eines natürlichen Todes gestorben. Aber keine natürliche Todesursache kann einen Menschen so zurichten. Ich möchte mir ja gern einreden, dass meine Erinnerungen durch den Schock verfälscht sind, aber ich weiß genau, was ich gesehen habe. Edoardos Hand sah aus … wie die einer Mumie, die seinen Ring trug.

Ich fühle mich beobachtet. Meine anfängliche Besorgnis weicht zunehmend blanker Angst, auch wenn es mir schwerfällt, mir das einzugestehen.

»Das kann ich mir vorstellen. Ich wollte dir keine dumme Frage stellen … Soll ich dich irgendwohin fahren?«

»Nein, danke.«

»Wenn du irgendetwas brauchst, ich bin für dich da.«

Ich weiß, dass er es ehrlich meint, seine kastanienbraunen Augen leuchten, und seine Stimme klingt zärtlich und liebevoll. Und doch möchte ich jetzt bloß noch weg, von ihm, von der Schule, von allen. Von den neugierigen Blicken und dem Getuschel über den Bibliothekar, das abbricht, sobald ich näher komme. Jetzt, da alle von meinem Nervenzusammenbruch in der Bibliothek wissen, behandelt man mich, als wäre ich krank.

»Wir sehen uns morgen, Umberto«, erwidere ich und gehe, ohne ihm die Möglichkeit für eine Antwort zu lassen.

Verdammt! Jetzt habe ich ganz vergessen, mich bei ihm dafür zu bedanken, dass er das mit Caterina und Genziana in Ordnung gebracht hat. Er hat sogar eingewilligt, Cat Nachhilfe in Mathematik zu geben. Gut, darum kümmere ich mich morgen.

In den letzten Tagen habe ich gedacht, ich würde nie wieder lächeln können. Stattdessen braucht es nicht viel dafür. Ich muss nur ihn sehen, und schon erscheint ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Mikael starrt mich über das Gewühl aus Schülern und Rucksäcken hinweg an. Seine Eisaugen durchbohren mich und erfüllen mich mit Aufregung. Also mit dieser guten Aufregung über etwas Schönes, die mit den Schmetterlingen im Bauch. Die dich an das Leben denken lässt und nicht an den Tod. Ich lächele, und für einen Moment vergesse ich alle Sorgen.

Vincent steht ihm gegenüber. Er redet erregt auf Mikael ein und richtet den Zeigefinger auf ihn. Da ist auch das wunderschöne Mädchen mit dem schwarzen Pagenkopf,



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