Richtig leben by Domian Jürgen
Autor:Domian, Jürgen [Domian, Jürgen]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Gütersloher Verlagshaus
veröffentlicht: 2015-09-13T16:00:00+00:00
»Eine tolle Einstellung! Wer Zorn unterdrückt oder hinunterschluckt, wird krank, körperlich oder seelisch, kann darüber sogar depressiv werden. Nichts tut so gut wie ein reinigendes Gewitter. Wenn überhaupt, ist der Zorn anstößig, wenn man ihn völlig ungezügelt gewähren lässt.«
Ich plädiere allerdings keinesfalls für Weichheit und Nachgiebigkeit. Im Gegenteil. Everybody’s Darling ist schnell auch everybody’s Esel. Rückgrat und Haltung sind meines Erachtens die wichtigsten Grundpfeiler einer richtigen Lebensführung. Es kommt jedoch darauf an, wie man die eigene Überzeugung umsetzt und welche Ziele man verfolgt. Der große Widerstandskämpfer und Pazifist Mahatma Gandhi hat es einmal so ausgedrückt: »Aus bitterster Erfahrung zog ich diese eine und höchste Lehre: Man muss Zorn in sich aufstauen, und so wie gestaute Wärme in Energie umgesetzt werden kann, so kann unser gestauter Zorn in eine Kraft umgesetzt werden, die die Welt zu bewegen vermag.«
Meine heutige Einstellung zum Zorn ist maßgeblich auf die Beschäftigung mit Zen zurückzuführen. Vieles, was ich früher schon unterschwellig in mir gespürt und geahnt hatte, fand später bei der Lektüre der zen-buddhistischen Schriften seine Bestätigung. Die Weisheiten des Zen haben mich überzeugt.
Zen sagt, das größte Problem des Menschen ist seine Selbstbezogenheit. Denn alle um das Selbst kreisenden Empfindungen, zu denen natürlich auch der Zorn zählt, blockieren die Seelenkräfte, führen immer und immer wieder zum Leiden und lassen den Menschen nie zu wirklicher Ruhe kommen. Diese Ruhe wiederum ist die Voraussetzung für umfassende (Selbst)erkenntnis und wirkliches Mitgefühl. Letztendlich kann Zen auf diese beiden Begriffe reduziert werden: Erkenntnis und Mitgefühl. Zorn allerdings widerspricht beiden elementar. Wer seinem Zorn freien Lauf lässt, weiß wenig über sich selbst und interessiert sich nicht im Geringsten für sein Gegenüber. Ein Zen-Meister würde einen zornigen Menschen niemals verurteilen, er würde ihm aber erklären, dass zornige Gedanken den Geist verschmutzen und erschüttern. Und er würde dem Rasenden erklären, dass es viel Zeit braucht, bis er sich von den Strapazen des Zorns wieder erholt haben wird. Zen wünscht sich den Geist still und klar wie einen Bergsee. Zorn hingegen peitscht in den See hinein, bringt ihn in Aufruhr, lässt ihn schäumende Wellen schlagen und kann sogar den Grund des Sees in Aufruhr bringen. Danach dauert es lange, bis sich der Mond wieder auf der Oberfläche des Wassers spiegelt und die Sonnenstrahlen tief in den See hineinscheinen können.
Da der Zorn ein mächtiges Gefühl ist, welches im Übrigen auch Macht ausüben will, mahnt Zen zu großer Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber. Der Zorn möge erst gar nicht entstehen. Hat der Zen-Schüler erkannt, das ihn jede Ich-Aktivität, so auch besonders das starke Gefühl des Zorns, daran hindert, in den wahren Grund des Seins Einblick zu gewinnen, dann ist bereits ein wichtiger Schritt getan. Der Schüler wird den in ihm aufziehenden Zorn zwar sehen, aber nicht annehmen. Er lässt ihn einfach an sich vorbeiziehen. Irgendwann wird es keine Alltagsgeschehnisse mehr geben, die den Schüler zornig machen könnten. Gelassen und abgeklärt steht er den weltlichen Dingen gegenüber. Er schaut nach innen und schweigt. So, wie es der große Zen-Meister Sekiso (Shih-shuang) schon vor etwa tausend Jahren geraten hat: »...
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