Randi und Michael by Lise Gast

Randi und Michael by Lise Gast

Autor:Lise Gast
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2016-11-02T00:00:00+00:00


* * *

Im Februar dieses Jahres kam der Winter noch einmal mit Macht nach. Es schneite, die Wasserleitungen froren ein, die Kohle wurde knapp. Dazu Straßenbahner-Streik. Es war wahrhaftig nicht erfreulich, in der Großstadt zu leben, in Marienbrunn war das ganz anders. Dort bedeutete Schnee noch das, was er einem als Kind bedeutet hatte: heiß geliebtes Spiel- und Tob-Element. Randi war gleich nach Tisch losgelaufen. Als sie hinkam, wurde sie von der ganzen Meute empfangen, die sich mit Rodelschlitten, Schneeballschlachten und sogar mit Skiern draußen tummelte. Man konnte Schneeplastiken aufbauen und wieder einreißen und toben. Randi war sofort mitten drin und sah mit Vergnügen, daß auch Heiko dabei war, außer Sigrid und ihren jüngeren Brüdern.

„Wir sollen dann Brötchen kaufen, Mutter kocht für uns alle Kakao“, sagte Sigrid, als es dämmrig wurde. Randi war stolz, dabei zu sein, eingemeindet, dazuzugehören. Auch die dunkelbezopfte Erika war da, sie sah sehr hübsch aus in einer Trachtenjacke mit bunten Borten. Alle zogen in schönstem Einvernehmen ins Haus am Bogen, naß vom Schnee, die Wangen rot, die Haare verwildert. Nach dem Essen wurde gesungen. Ohne singen war Marienbrunn nicht zu denken. Eins nach dem andern der geliebten Lieder wurde angestimmt, einer hatte die Klampfe von der Wand genommen und begleitete, und Randi war sehr stolz, so gut wie alle Lieder mit sämtlichen Strophen auswendig zu können. Einmal ging sie hinaus. Der Flur war dunkel, sie suchte nach dem Schalter und fand den falschen, so daß die Kellertreppe, zu der die Tür offen stand, plötzlich erleuchtet war. Auf der Kellertreppe regte sich etwas … Randi wollte nicht hinsehen, tat es aber, ehe sie sich richtig besann. Da sah sie Erika an der Wand lehnen, die Zöpfe hingen ihr nach vorn auf die Brust herab, und sie wirkte erschreckt und atemlos. „Was ist denn?“ fragte Randi, seltsam beklommen. Sie wollte nicht wahrhaben, was sie ahnte, nur ungewiß und verschwommen ahnte. Sie sah auch schnell wieder weg. „Ach, gar nichts. Warum knipst du auch an …“ Erika schien verärgert. Randi drehte jetzt den richtigen Schalter und ging die Treppe hinauf. Sie hatte aus Sigrids Zimmer etwas holen wollen, Sigrid hatte sie darum gebeten. War da nicht noch jemand auf der Kellertreppe gewesen? Und wer? Randi verbot sich, darüber nachzudenken. Was ging es sie an.

Jedes Jahr etwa um diese Zeit nahm Mutter ihren „Urlaub“. Der bestand darin, daß sie für acht Tage zu ihrer eigenen Mutter fuhr, um sich einmal richtig auszuruhen. Abgejagt von der nie endenden Arbeit in der kleinen, unpraktischen Etagenwohnung, zermürbt von den Sorgen um die Zukunft, die sie mit Vater teilte, sparte sie sich diese Woche jedes Jahr heraus, jedenfalls, seit Randi einigermaßen herangewachsen war. Randi wurde dann aus der Schule gebeten, wegen „wichtiger familiärer Angelegenheiten“, und mußte den Haushalt führen, für Vater und Ralph kochen, die Öfen heizen, einkaufen, den Familienalltag in Gang halten. Sie tat das nicht gern; Vater war schwierig, und sie hatte einen heidenmäßigen Respekt vor ihm. Ralph drückte sich mit Vorliebe vor jeder Hausarbeit. Die Zeit, da Söhne oder Ehemänner



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.