Quantum by Rajaniemi Hannu

Quantum by Rajaniemi Hannu

Autor:Rajaniemi, Hannu [Rajaniemi, Hannu]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783492952774
Herausgeber: Piper ebooks
veröffentlicht: 2012-10-25T18:34:02+00:00


10 Der Dieb und das zweite erste Rendezvous

Bei unserem ersten Wiedersehen sitzt Raymonde neben dem Spielplatz und nimmt ihr Mittagessen ein. Sie hat Notenblätter auf ihrem Schoß und auf der Bank ausgebreitet und studiert sie, während sie mit wilder Entschlossenheit in einen Apfel beißt.

»Entschuldigen Sie«, sage ich.

Sie kommt jeden Tag hierher und bringt sich ihr Essen in einer kleinen Tempmaterie-Tasche mit. Sie isst hastig, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich einen Moment Ruhe gönnt. Dabei beobachtet sie die größeren Kinder, die wie die Affen auf den hohen, komplizierten Klettergerüsten herumturnen, und die Kleinsten, die sich im Sandkasten mit den runden und farbenfrohen Biosynth-Spielsachen beschäftigen. Sie sitzt ganz vorn an der Kante, die langen, schlanken Beine etwas verkrampft unter sich gezogen, als wollte sie jeden Moment aufspringen.

Jetzt sieht sie mich stirnrunzelnd an. Ihr Gevulot ist nur um eine Winzigkeit geöffnet und zeigt mir den abwesenden Ausdruck auf ihrem stolzen, markanten Gesicht. Irgendwie macht er sie noch schöner.

»Ja?« Wir tauschen eine kurze, knappe Gevulot-Begrüßung. Die Software der Gogol-Piraten scannt sie auf Lücken, findet aber keine. Noch nicht.

Perhonen und ich haben in Agoren und in öffentlichen Exospeichern nach ihr gesucht und waren nach stundenlanger Arbeit auch fündig geworden: eine lebhafte Erinnerung an eine junge Frau in einem adretten cremefarbenen Rock und passender Bluse, die mit zielbewusstem Schritt durch eine Agora ging. Sie hatte nicht den maskenhaft starren Gesichtsausdruck so vieler Marsianer an öffentlichen Orten, sondern wirkte ernst und gedankenverloren.

Tags zuvor stahl ich ihr in anderer Gestalt ein Notenblatt. Das halte ich jetzt in die Höhe.

»Ich glaube, das gehört Ihnen.«

Sie nimmt es zögernd entgegen. »Vielen Dank.«

»Es muss Ihnen gestern heruntergefallen sein. Ich habe es auf dem Boden gefunden.«

»Sehr praktisch«, sagt sie. Sie ist immer noch misstrauisch: Ihr Gevulot verrät nicht einmal ihren Namen, und würde ich ihr Gesicht noch nicht kennen, hätte ich es nach unserem Gespräch schon wieder vergessen.

Sie lebt irgendwo am Rand des Staubviertels und hat beruflich mit Musik zu tun. Sie führt ein geregeltes Leben. Ihre Garderobe ist bescheiden und konservativ. Das erstaunt mich: Es passt nicht zu dem Lächeln auf ihrem Bild. Aber in zwanzig Jahren kann viel geschehen. Ich frage mich, ob sie in letzter Zeit im Schweigen war; danach neigen junge Marsianer gewöhnlich dazu, mit ihrer ZEIT besonders sparsam umzugehen.

»Sie ist nämlich sehr gut.«

»Wie bitte?«

»Die Musik. Das Blatt ist analog, deshalb konnte ich nicht widerstehen und habe es mir angesehen.« Ich offeriere ihr ein wenig Gevulot. Sie nimmt an. Ja.

»Ich heiße Raoul. Entschuldigen Sie die Störung, aber ich suche schon lange nach einem Vorwand, um Sie anzusprechen.«

So wird das nichts, flüstert Perhonen.

Aber sicher wird das etwas. Einer guten Geschichte kann keine Frau widerstehen. Ein geheimnisvoller Fremder auf einer Parkbank? Sie ist begeistert.

»Dann bin ich ja froh, dass Sie einen gefunden haben«, versetzt sie. Etwas mehr Gevulot: Sie hat einen festen Freund. Verdammt; aber man wird ja sehen, ob das ein großes Hindernis ist.

»Haben Sie einen Förderer?« Wieder ein Gevulot-Block: »Entschuldigen Sie meine Neugier, aber es interessiert mich. Was ist es denn für ein Werk?«

»Eine Oper. Über die Revolution.



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