Morgen – das ist bald by Lise Gast

Morgen – das ist bald by Lise Gast

Autor:Lise Gast [Gast, Lise]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-05-05T00:00:00+00:00


Heidel fuhr zusammen, als es ans Fenster klopfte. Sie hatte nicht mehr damit gerechnet, daß noch Besuch käme. Rasch sprang sie hin und öffnete – ach, nicht Bastian! Er war heute nicht dagewesen, den ganzen langen Tag nicht. Wie lang war ein solcher Tag! Enttäuscht schlüpfte sie ins Bett zurück.

'Ja, ich bin’s bloß', sagte Anke, die das genau gemerkt hatte. 'Schade, nicht? Aber ich verspreche, wenn noch jemand kommt, mach’ ich mich auf der Stelle unsichtbar. Ich kann das –' sie ging in die Kniebeuge und schlug dabei mit dem Kinn auf dem äußeren Fensterbrett auf.

'Aua!'

Es klang kläglich. Heidel erschrak, mußte aber dann lachen, als auch Anke lachte und abwinkte, so schlimm sei es nicht.

'Ich bin doch froh, daß Sie kommen.'

'Wirklich? Ein so schiefes Mondgesicht wie ich, und willkommen am Krankenbett? Dann bleib’ ich erstmal.' Anke rieb sich das Kinn und lehnte sich dann mit den Ellbogen aufs Fensterbrett, sah zu Heidel hinüber. 'Sybille erzählte, es ginge dir schlecht. Ich darf doch du sagen, oder? Aber du sagst es auch. Ich hab’ es eurer Mutter ausgeredet, aber es stimmt trotzdem, nicht wahr?'

'Ja, es stimmt.' Heidel hatte es nicht sagen wollen und hörte, wie sie es zugab. Gleich darauf mußte sie wieder weinen. 'Es ist – es ist – ach, es ist schrecklich. Ich weiß überhaupt nicht, was ich machen soll!'

Merkwürdig, es gibt Menschen, zu denen man sofort Vertrauen hat. Am ersten Tag, an dem man sie sieht. Solch ein Mensch war Anke Wittke; auch Matthias hatte das empfunden; und Heidel erlebte das gleiche. Anke hatte nur gesagt, es ginge ihr, Heidel, doch in Wirklichkeit schlecht, nichts weiter, nichts mehr. Aber Heidel hatte sofort das Gefühl, als sei hier die Rettung, der Mensch, den sie sich gewünscht hatte. Sie schluchzte, lachte dazwischen, stammelte, wie froh sie sei, daß Anke da wäre – und dann war sie schon mitten im Erzählen. Sie erzählte zu ihrem eigenen Erstaunen von der alten Frau im Nebenzimmer, von Bastian ('dem Bruder von Andreas, du weißt schon –'), von Schwester Rose. Und von dem gestohlenen Geld. Jetzt erst merkte sie, wie schlimm es gewesen war, als all dies noch allein auf ihrem Herzen lag, viel schlimmer, als wenn sie einen scheußlichen Husten oder Lungenentzündung oder einen wilden Fieberanfall gehabt hätte und weiter nichts. Körperliche Schmerzen oder Schwächen waren nicht schön, gingen aber vorbei. Angst jedoch und Sorgen und seelische Belastungen...

'Und ich kann doch keinen von beiden verraten oder verdächtigen', schluckte sie schließlich. 'Nicht wahr, das kann ich nicht! Bastian stiehlt bestimmt nicht, aber wenn ich sage, daß er hier drin war – und Schwester Rose würde ich ins Unglück stürzen, samt ihrem kleinen Sohn. Aber wenn ich überhaupt nichts sage – wer hat es dann gestohlen, das Geld? Am liebsten würde ich sagen, ich selbst war es, aber da müßte ich es doch haben, hier kann ich es doch nicht ausgegeben haben, noch dazu so viel.' 'Wahrhaftig, das kannst du nicht!' Anke sah zu Heidel herüber, nachdenklich, mit großen Augen. Richtiger: mit einem großen Auge, das andere war inzwischen fast zugeschwollen, mit ihm blinzelte sie nur noch.



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