Mister Aufziehvogel by Haruki Murakami

Mister Aufziehvogel by Haruki Murakami

Autor:Haruki Murakami [Murakami, Haruki]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3770144791
Herausgeber: Dumont Verlag


Kreta Kano ging in unseren Supermarkt einkaufen. Ich gab ihr Geld und riet ihr, zum Ausgehen etwas Konventionelleres anzuziehen. Sie nickte und ging in Kumikos Zimmer, wo sie eine weiße Baumwollbluse und einen geblümten Rock anzog.

»Stört es Sie auch nicht, Herr Okada, wenn ich Kleider Ihrer Frau anziehe?« Ich schüttelte den Kopf. »In ihrem Brief stand, ich solle alles fortgeben. Es stört niemanden, wenn Sie ihre Sachen anziehen.«

Genau wie ich erwartet hatte, paßte ihr alles wie angegossen - es war fast unheimlich. Sie hatte sogar dieselbe Schuhgröße; Kreta Kano ging in einem Paar von Kumikos Sandalen aus dem Haus. Der Anblick von Kreta Kano in Kumikos Kleidern gab mir wieder einmal das Gefühl, die Wirklichkeit wechsle die Richtung, so wie ein riesiges Passagierschiff schwerfällig einen neuen Kurs einschlägt. Als Kreta Kano das Haus verlassen hatte, legte ich mich aufs Sofa und starrte gedankenleer in den Garten. Dreißig Minuten später kam sie im Taxi zurück, mit drei Einkaufstüten voller Lebensmittel beladen. Dann machte sie mir Eier mit Schinken und einen Sardellensalat.

»Sagen Sie, Herr Okada, interessieren Sie sich für Kreta?« fragte Kreta Kano völlig übergangslos, als wir gegessen hatten.

»Für Kreta?« sagte ich. »Sie meinen die Insel Kreta, im Mittelmeer?«

»Ja.«

»Ich weiß nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Sagen wir, ist nicht so, daß ich mich nicht für sie interessieren würde. Ich hab nie groß darüber nachgedacht.«

»Hätten Sie Lust, mit mir nach Kreta zu fahren?«

»Mit Ihnen nach Kreta zu fahren?« echote ich.

»Ich würde Japan gern für eine Weile verlassen. Darüber habe ich im Brunnen die ganze Zeit nachgedacht, nachdem Sie gegangen waren. Seit dem Tag, an dem mir Malta den Namen Kreta gab, war mir klar, daß ich irgendwann einmal gern nach Kreta reisen würde. Um mich darauf vorzubereiten, habe ich viele Bücher über die Insel gelesen. Ich habe sogar Griechisch gelernt, damit ich mich dort verständigen könnte, wenn die Zeit gekommen wäre. Ich verfüge über ganz ansehnliche Ersparnisse, die uns erlauben würden, dort eine ganze Zeitlang zu leben. Um Geld bräuchten Sie sich keine Gedanken zu machen.«

»Weiß Malta Kano, daß Sie erwägen, nach Kreta zu gehen?«

»Nein. Ich habe ihr nichts davon gesagt, aber ich bin mir sicher, daß sie keine Einwände dagegen hätte. Sie wäre wahrscheinlich der Meinung, es würde mir guttun. Sie hat mich während der letzten fünf Jahre als Medium benutzt, aber das soll nicht heißen, daß sie mich lediglich ausgenutzt hätte wie ein Werkzeug. Sie hat es auch getan, um mir bei meiner Genesung zu helfen. Sie glaubt, indem sie die Bewußtseine oder Ichs vieler verschiedener Menschen durch mich hindurchleitet, wird sie ermöglichen, daß ich ein sicheres Gefühl für mein eigenes Ich gewinne. Verstehen Sie? Es erschließt mir gewissermaßen mittelbar die Erfahrung, wie es sich anfühlt, ein selbstbestimmtes Ich zu haben.

Wenn ich es mir recht überlege, habe ich noch nicht ein einzige Mal in meinem ganzen Leben zu jemandem klar gesagt: ›Ich will das und das tun.‹ Ja, ich habe nicht einmal je gedacht: ›Ich will das und das tun.‹ Vom Augenblick meiner Geburt an kreiste mein ganzes bewußtes Leben um den Schmerz.



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