Mein Weg durchs Feuer by Halide Edip Adivar

Mein Weg durchs Feuer by Halide Edip Adivar

Autor:Halide Edip Adivar [Adivar, Halide Edip]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Autobiografie, Frau, Mustafa Kemal Atatürk, Türkei, Türkische Bibliothek
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-12-21T16:00:00+00:00


Ankara, Mustafa Kemal Paşa und der Befreiungskampf

Eine unübersehbare, in der fortgeschrittenen Abenddämmerung düster wirkende Menschenmenge und eine schlanke, graue Silhouette, die sich mit raschen Schritten auf unseren Zug zubewegte: Das waren meine ersten Eindrücke von Ankara. Mustafa Kemal Paşas Gesicht blieb im Zwielicht, aber ich erkannte seine graue, scharf umrissene Gestalt wieder, die ich nur ein Jahr zuvor in der Babıâli-Straße wahrgenommen hatte.

Die Zugtür ging auf, und Mustafa Kemal Paşa streckte mir seine Hand entgegen, um mir beim Aussteigen behilflich zu sein. Sein kräftiger zupackender Griff erinnerte mich sofort an Mehmet Çavuş und andere aus der Nationalen Bewegung, denen ich während meiner Flucht begegnet war. Und doch unterschieden sich die großen breiten Hände der anatolischen Kämpfer beträchtlich von jenen Mustafa Kemal Paşas. Schmalfingrig und feinnervig waren diese gepflegten Hände. Aber man traute ihnen ohne Weiteres die Kraft zu, den Feind – wenn nötig – am Kragen zu packen.

»Herzlich willkommen, gnädige Frau«, sagte er leise. Nachdem er sich nach unserem Befinden erkundigt hatte, drehte er sich um und stellte uns einen hünenhaften, schwarz gekleideten Mann mit einem imposanten Bart vor: »Der Gouverneur von Ankara.«

Die größte Überraschung stand mir aber noch bevor. Unter den Wartenden erkannte ich plötzlich Dîdâr, die Frau von Oberst Emin Bey. Sie war eine angeheiratete Nichte von Mahmure Abla, und in meinen Kindheits- und Jugendtagen in Sultantepe waren wir praktisch zusammen aufgewachsen. Welch ein Zufall, dass sie mir zu einem Zeitpunkt, da ich die alten Tage hinter mir gelassen zu haben glaubte, meine Vergangenheit ins Bewusstsein zurückrief! Ich sollte die Nacht in ihrem Haus verbringen.

Sie umschlang mich mit zitternden Armen und sagte, dem Weinen nah: »Gott sei Dank, dass du gesund und wohlbehalten angekommen bist!«

Dann fuhren wir durch finstere Straßen, die einem Meer aus Schlamm und Steinen glichen. Ich versuchte, durch die matt erleuchteten Fenster einen Blick ins Innere der dunklen Lehmhäuser zu werfen. Nachdem wir Koyunpazarı passiert hatten, keuchten die Pferde einen steilen, unwegsamen Hang hinauf. Endlich erreichten wir einen schmalen, von einer alten gefassten Wasserquelle gesäumten Weg, um die sich viele Frauen scharten, die hier das Wasser für ihren Haushalt holten. Kinder liefen spielend zwischen ihnen umher, und neben dem ständigen Getrippel ihrer Füßchen hörte ich ihren sich immer wiederholenden Singsang eines lustigen Kinderliedchens: »Geliyor yavaş, yavaş / patlıcan arkadaş – Langsam kommt mit geduldiger Miene / Der Kamerad Aubergine.«

Das alles nahm ich wie im Fiebertraum wahr, und meine eigene Stimme klang fremd in meinen Ohren, als ich sagte: »Dîdâr, ich brauche heißes Wasser, viel heißes Wasser, Seife und einen Waschlappen.«

Sie lachte und erwiderte: »Das ist alles schon bereit, meine Liebe.«

Das lange, mit hellroten Kelims bedeckte Sofa, die geschlossenen weißen Fensterläden und das fröhlich knisternde Feuer im Ofen waren ein unbeschreibliches Glück. Und Dîdâr hatte mich so gründlich abgeschrubbt, wie es nur möglich ist, ohne gleich die Haut mit fortzuwaschen. Mit meinen Füßen in weichen Filzpantoffeln und meinem frisch gewaschenen Haar, das mit einem bestickten Kopftuch zum Trocknen zusammengebunden war, fühlte ich mich wie im Paradies.

Doch ich hatte kaum Zeit gefunden, es mir auf dem Sofa bequem zu machen, als es an der Haustür klingelte.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.