Madame Zhou und der Fahrradfriseur - Auf den Spuren des chinesischen Wunders by Scherzer Landolf

Madame Zhou und der Fahrradfriseur - Auf den Spuren des chinesischen Wunders by Scherzer Landolf

Autor:Scherzer, Landolf [Scherzer, Landolf]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Feuillton, Interviews, Belletristik/Essays, Literaturkritik
Herausgeber: Aufbau Verlag
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Im Büro von Klaus beginnt der nächste Tag mit einer guten Nachricht. Zwar gibt es noch keinen Vertrag mit einer chinesischen Firma, doch aus Rostow am Don signalisiert ein großes Unternehmen, dass es an Produkten aus Mittweida interessiert ist.

»Dann wirst du wieder nach Russland fliegen müssen«, prophezeie ich und schaue ihn fragend an.

»Trotz alledem: Russland, das heißt die SU, war einmal meine zweite Heimat«, sagt er.

Von seinem guten Start in diesen Tag ermutigt, versuche auch ich mir wichtige Gespräche in Peking zu organisieren. Zuerst telefoniere ich mit Steffen Schindler, dem letzten Militärattaché der DDR in der Volksrepublik China, der inzwischen Chef der deutschen Wurstherstellung in Peking geworden ist. Er staunt, dass sich L. S. schon seit fast zwei Wochen zu Recherchen in China aufhält, er aber noch nichts davon weiß, geschweige denn, dass er eine Thüringer Bratwurst bei ihm gegessen hat. Natürlich will er mit mir reden, aber nicht heute. Er laboriert an einer Darmgrippe.

Der Leipziger »MAD DOG« Frank meldet sich schon nach dem ersten Rufzeichen auf seinem Handy. Doch er ist geschäftlich unterwegs. Ich glaube, er sagt Thailand. In zwei Wochen könnten wir uns über den Verein der Motorbiker in Peking unterhalten. Dann fragt er lachend nach dem Zustand meines Immunsystems gegen das Gelbfieber. Ich kann ihn beruhigen.

Der Künstler Wang Shugang geht nicht ans Telefon. Friederike hätte ich eine E-Mail schicken können, aber sie hatte ja bereits versprochen: »Das nächste Mal bei ›Schillers‹.«

Aber Klaus hat einen Termin für uns. Uwe Kräuter, einer der interessantesten Deutschen in China, wird morgen im »German-Center« von seinen Erlebnissen, die er während des 35-jährigen Aufenthaltes im Land der Mitte gesammelt hat, berichten. Er war 1968, als 23-Jähriger, Gegner des Vietnam-Krieges, später Mitglied des SDS, Mao-Anhänger und Marxist. 1974 ging er, nachdem er wegen »Landfriedensbruch« in erster Instanz zu einer Gefängnisstrafe mit Bewährung verurteilt worden war, nach China. Heute fährt der »Altkommunist« nicht nur einen Mercedes, sondern ist auch Gründer und Besitzer eines Medienunternehmens, das Filme in China produziert und internationale Serien vermittelt. Verheiratet ist er mit der bekannten chinesischen Schauspielerin Shen Danping. Der Vortrag von Uwe Kräuter kostet 50 Yuan. Es ist ein Freigetränk dabei, sagt Klaus.

Aber heute, was mache ich heute? Vielleicht sollte ich Kuni anrufen und hoffen, dass sie sich nach dem Wiedersehen für kurze Zeit von ihrem Chow-Chow trennen kann und mit mir zum Fahrradfriseur geht oder mir hilft, mit der Ayi von Klaus zu sprechen.

Ich frage Klaus, ob »seine« Ayi verheiratet ist und Kinder hat. Das weiß er nicht. Auch nach ihrer Wohnung hat er sie noch nie gefragt.

»Doch wahrscheinlich wohnt sie irgendwo in der Nähe. Sie kommt immer mit dem Fahrrad …«



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