Madame de by Vilmorin Louise de

Madame de by Vilmorin Louise de

Autor:Vilmorin, Louise de [Vilmorin, Louise de]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 1999-12-31T23:00:00+00:00


Der Botschafter kehrte am Vorweihnachtstag zurück, und Madame de erhielt von ihm einen Bambuskorb voller Veilchen und Mimosenzweige. Ihr Mann war bei ihr in der Bibliothek, als sie die Blumen entgegennahm, er sah ihre Ergriffenheit und verließ den Raum.

Madame de, seit vierzehn Tagen ohne Nachricht von jenem Mann, der ihr ganzes Denken und Fühlen beherrschte, wagte zunächst nicht, das Geschenk anzurühren, aus Angst, keinen versteckten Brief zu entdecken. Dann suchte sie zwischen den Sträußen und Zweigen und fing an zu weinen. Schließlich warf sie den Korb um, die Blumen fielen zu Boden, sie hob einen Veilchenstrauß auf, presste ihn an die Lippen, an die Augen und streckte sich mit gefalteten Händen auf einem Sofa aus, als legte sie sich ins Grab. Dort verharrte sie reglos.

Plötzlich ging die Tür auf und Monsieur de trat ein.

»Gleich werden Sie eine schöne Überraschung erleben«, sagte er, »kommen Sie, wachen Sie auf, sehen Sie doch selbst.«

Sie war aber noch ganz in ihr armes Herz versunken, und ehe sie begreifen konnte, was sie da gehört hatte, berührten zwei eisige Lippen und ein Hauch von Schnee, aus einem Schnurrbart rieselnd, ihre Hand.

»Ich sehe«, flüsterte sie und lächelte den Botschafter an, dessen Gesicht fast ihr eigenes streifte.

Er betrachtete die Blumen, die auf dem Teppich verstreut lagen.

»Meine Blumen! So gehen Sie damit um?«, sagte er.

»Ich habe einen Garten daraus gemacht«, erwiderte sie.

Sie plauderten noch eine Weile zu dritt und trennten sich dann für wenige Stunden, bevor sie sich bei gemeinsamen Freunden zum Essen wieder trafen.

An diesem Abend war Madame de ausgesprochen schön, außerdem so ernst und gefasst, dass es jedem auffiel. Der Botschafter wich ihr nicht aus, er erzählte ihr von seiner jüngsten Reise und wollte von ihr hören, was sich während seiner Abwesenheit alles ereignet hatte. Sie antwortete ihm ohne Bedacht, sie wagte kaum, zu den schönen sanften Augen aufzusehen, die auf ihr ruhten, und der Abend verstrich, ohne dass der Botschafter ihre Qualen durch ein Zeichen von Vertrautheit linderte.

Der Botschafter achtete so sorgsam darauf, Madame de nicht öffentlich bloßzustellen, dass sein Sinneswandel allen verborgen blieb. An ihrer Seite wirkte er immer beglückt. Wenn er im Theater oder in der Oper hinter ihr in der Loge stand, beugte er sich wie früher über ihre Schulter, um das Schauspiel oder die Musik für sie zu kommentieren. Dann drehte sie leicht den Kopf und glaubte, im Halbdunkel auf seinem Gesicht den Widerschein einer erloschenen Zärtlichkeit zu sehen.

Madame de litt fast ebenso sehr darunter, dass der Botschafter sie verlassen hatte, wie unter seinem unbegreiflichen Verhalten – wie konnte er sich ohne ein Wort der Erklärung von einer Frau fernhalten, die er so lange umworben und schließlich erobert hatte? Nachdem Madame de ein Jahr geschwiegen hatte, nahm ihr Liebesbekenntnis ein solches Gewicht an, dass es nun schwer auf ihr lastete, sie lebte kaum, sie schlief nicht mehr, und weil sie nicht sprechen durfte, weil sie sich zurückgewiesen fühlte, verkümmerte sie allmählich. Man führte ihre Blässe auf eine durch Bälle und ausgedehnte Abendgesellschaften verursachte Übermüdung zurück, und wenn Monsieur de die Ursache ihres Leidens auch nicht auf Anhieb erkannte, war er doch der Erste, der sich deswegen sorgte.



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